Der kleine Potsdamer Ortsteil Sacrow hat eine vielfältige Geschichte. Wer heute Sacrow am Rand von Potsdam besucht, erblickt ein verwunschenes kleines Schloss in einem idyllischen Park sowie die Heilandskirche direkt an der Havel. Doch die schöne, paradiesgleiche Oberfläche Sacrows verdeckt die Verletzungen, die Menschen hier – vor allem während der zwei deutschen Diktaturen – erlitten haben. Ihre individuellen Seelenverwundungen werden zu kollektiven, wenn man Sacrow auch als pars pro toto für die große deutsche Geschichte – vom 20. Jahrhundert bis heute – begreift.

Ausstellung gibt kompetent Einblicke

Zwischen den spannenden Antipoden äußerer „Schönheit“ und dem „Drama“ dahinter – vor allem anhand emotionaler biografischer Erzählungen – gibt ab kommenden Wochenende die Ausstellung  „Sacrow – das verwundete Paradies“ sehr persönliche Einblicke in die bewegte Geschichte eines brandenburgischen Ortes.

„Sacrow – das verwundete Paradies“
Eine Ausstellung im Schloss Sacrow anlässlich des 60. Jahrestages des Mauerbaus.

Die Ausstellung des Vereins ars Sacrow ist bis zum 9. November 2021 zu sehen.

Aus Sacrows Historie

Wunderschön zwischen Buchenwäldern und Seen eingebettet liegt Sacrow. Der kleine beschauliche Ortsteil von Potsdam grenzt direkt an Kladow, das zu Berlin-Spandau gehört. In den ersten 40 Jahren des 20. Jahrhunderts ließen sich in Sacrow viele Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Kultur nieder. Jüdische Familien wurden von den Nazis vertrieben, das Buch von Jens Arndt nennt einige Beispiele.

Die Landhäuser sind restauriert und sehenswert. Nach dem Besuch der Ausstellung sollte man unbedingt den kleinen Ort anschauen. Einen Spaziergang beginnt man am besten im Schlosspark. Der 1773 entstandene Park schließt den Kranz der Gartenanlagen um den Potsdamer Jungfernsee. Ein Fächer von Sichten geht von der Gartenseite des kleinen Schlosses Sacrow aus hinüber auf Jägerhof und „Große Neugierde“ in Glienicke (den Pavillon auf der Glienicker Brücke) und den Flatowturm im Babelsberger Park. Sehr gut kann man auch die Silhouette von Potsdam mit der Nikolaikirche sehen.

Sacrow lag im GrenzgebietDoch Sacrow hat auch dunkle Seiten. Zu Zeiten der Berliner Mauer lagen der Sacrower Park wie auch der gesamte Ort im Grenzgebiet. Darüber will die Ausstellung, zu der der Band von Jens Arndt „Das verwundete Paradies“ (L&H Verlag)  eindrucksvolle Dokumente, Fotos und natürlich Schicksale bereithält, erzählen. Nach Verwilderung und Zerstörung durch die Berliner Mauer begann ab 1994 die Wiederherstellung des Gartens durch die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten. Darüber berichtete die ebenfalls von Jens Arndt maßgeblich kuratierte Ausstellung (inlusive Buch und Film) „Gärtner führen keine Kriege.

Blick auf Schloss Sacrow

Blick auf Schloss Sacrow

Die Ursprünge des Ortes Sacrow gehen zurück auf ein Rittergut, das im 14. Jahrhundert erstmals im Landbuch Kaiser Karls IV. erwähnt wird. Die Namen der Gutsbesitzer wechselten rasch. Unter anderen erwarb 1816 der Berliner Bankier Immanuel Meyer Magnus das Gut. Er war ein Freund der Familie Mendelssohn, die er gelegentlich hier zu Gast hatte. Felix Mendelssohn-Bartholdy hat wahrscheinlich Teile seines Streichquartetts in a-Moll (op. 13) hier komponiert. 1840 erwarb König Friedrich Wilhelm IV. Gut und Herrenhaus. Gleichzeitig gab er den Befehl zum Bau der Heilandskirche durch seinen Architekten Ludwig Persius, der auch das Herrenhaus erweitern sollte. Persius fügte am Nordgiebel einen zweistöckigen Anbau mit einem repräsentativen Eingang im italienischen Stil an. Peter Lenné legte im Auftrag des Königs den Park an, der die Kirche einbezog und dessen Sichtachsen den Blick freiließen auf die benachbarten Schlösser Pfaueninsel, Glienicke, Babelsberg und Cecilienhof. Seit dieser Zeit wird das Herrenhaus in Sacrow als Schloss bezeichnet, obwohl der König selbst nie darin gewohnt hat. 1938 wurde das Schloss zum Wohn- und Dienstsitz des Generalforstmeisters Friedrich Alpers umgebaut. Dabei verlor es im Innern vollständig seine barocke Gestalt. Die Repräsentationsräume wurden in das Erdgeschoss verlegt, während die Wohnung im Obergeschoss Platz fand. Der Dachfirst wurde verlängert, um einen Teil des von Persius errichteten Anbaus am Nordflügel mit in das Gebäude einzubeziehen. Der übrige Anbau erhielt anstelle des Spitzdachs eine große Dachterrasse, darunter entstand ein Bankettsaal mit bodenlangen Fenstern. Die Nebengebäude wurden entfernt, zudem entstanden das Adjutantenhaus sowie die Wohnungen des Chauffeurs und des Försters.

Schloss Sacrow bei Potsdam SPSG

Schloss Sacrow bei Potsdam

Mit dem Mauerbau zog zunächst die Nationale Volksarmee und ab 1973 der Zoll der DDR ein.  Im Park entstanden Trainingsanlagen für die Spürhunde des Zolls. Seit 2003 nutzt der Verein Ars Sacrow das Schloss, es gehört zu den Schlössern der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin Brandenburg, für Kinoabende, Lesungen und in den Sommermonaten für wechselnde Ausstellungen.

Spender restaurierten die Heilandskirche

Nach dem Besuch des Schlosses gehen wir zum Ufer des Jungfernsees, vorbei an der mit Spendenmitteln des Vereins der Freunde der Preußischen Schlösser und Gärten restaurierten Römerbank und erblicken linkerhand die Heilandskirche. Sie wurde 1841 im Auftrag Friedrich Wilhelms IV. von Ludwig Persius als Saalkirche mit einem separaten Glockentum am sogenannten Port von Sacrow erbaut. Zu Zeiten der Berliner Mauer wurde die Kirche im Innern komplett zerstört. Auch darüber berichtet die Ausstellung. Seit 1989 brachten Spender und engagierte Gemeindemitglieder viel Geld für die Sanierung des Gotteshauses und der Orgel auf. Unter anderem half die Stiftung des Tagesspiegel sowie die Deutsche Stiftung Denkmalschutz. Die Heilandskirche am Port von Sacrow ist Teil der Weltkulturerbestätte Schlösser und Parks von Potsdam und Berlin und steht damit unter dem Schutz der UNESCO. Die Kirche hat diesen Status seit 1992, als die seit 1990 bestehende Weltkulturerbestätte um „Schloss und Park Sacrow und die Heilandskirche“ erweitert wurde.

Heilandskirche SaCROW

Heilandskirche Sacrow

Erste deutsche Antennenanlage für drahtlose Telegraphie

Im Sommer 1897 diente der Glockenturm der Heilandskirche den Physikern Adolf Slaby und Georg Graf von Arco für Versuche zur Perfektionierung der Funktechnik. Hier wurde die erste deutsche Antennenanlage für drahtlose Telegraphie errichtet. Am 27. August gelang die Signalübertragung zur 1,6 Kilometer entfernten kaiserlichen Matrosenstation Kongsnæs am gegenüberliegenden Ufer des Jungfernsees in der Schwanenallee in Potsdam. Linkerhand verlassen wir den Park, gehen über die Fährstraße Richtung Meedehorn, wo uns ein reetgedecktes Haus den Weg weist. Dahinter, in der Laubenkolonie, empfängt ein kleines Gartenrestaurant „Zum Meedehorn“.

Am Meedehorn in Sacrow Potsdam

Am Meedehorn in Sacrow

Und auf dem Weg dorthin entdecken wir immer wieder Stelen mit Informationen zum Berliner Mauerradweg. Es lohnt unbedingt sich diese kleinen Hinweistafeln anzuschauen. Man findet direkte Bezüge zu den Geschichten in der Ausstellung und kann einzelne Häuser verorten.

Sacrow Gustav Dampfschiff Potsdam

Blick von der Heilandskirche auf den Jungfernsee

Von der Fährstraße aus gelangen wir nach wenigen Metern auf die Krampnitzer Straße und biegen rechts in die Kladower Straße ein, vorbei an restaurierten Landhäusern. In den ersten 40 Jahren des 20. Jahrhunderts ließen sich hier viele Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Kultur nieder. Dazu gehörten unter anderen Jörgen Rasmussen, Eigentümer der DKW-Fahrzeugwerke, führende Vertreter der Deruluft (der späteren Deutschen Lufthansa), aber auch der später von den Nazis hingerichtete Widerstandskämpfer Hans von Dohnanyi. Das Haus Kladower Straße 6 etwa erbaute Friedrich Wolfgang Unger-Kempinski, er gehörte zur dritten Generation der Gründerfamilie des Hotelkonzerns.  Kempinski unterhielt zu dieser Zeit neben dem Berliner Hotel Kempinski auch das elitäre Schlosshotel im benachbarten Marquardt am Schlänitzsee. All die Intellektuellen, Unternehmer und Industriellen nutzten die guten Kontakte, die sich im damals exklusiven Sacrower Mikrokosmos leicht herstellen ließen.

Idylle pur in Sacrow Potsdam

Idylle pur in Sacrow

Heute wieder Wohnort der Prominenz

Am Ende der Straße biegen wir in den Weg „Am Hämphorn“ ein. Das Haus ganz hinten links gehörte einst dem jüdischen Regisseur Erik Charrell, während seiner Zeit in Sacrow entstand 1931 sein Film „Der Kongress tanzt“. Auch heute befinden sich einige Häuser im Besitz Prominenter. Der einstige FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher (leider zu früh verstorben) zum Beispiel wohnte bis zu seinem Tod 2014 in Sacrow. Auf dem kleinen Dorffriedhof am Ortseingang fand er seine letzte Ruhe. Auch Filmemacher Joachim von Vietinghoff, der zu den Intitiatoren von Ausstellung und Film gehört, lebt in Sacrow und beschreibt im Buch eindrucksvoll über seine späte Liebe zu dem geschichtsträchtigen Ort.

Blick auf ein Doppelhaus in Sacrow Potsdam

Blick auf ein Doppelhaus in Sacrow

Zurück, über die Straße hinweg, führt uns ein Waldweg zur Badestelle Am Sacrower See, der für sein klares Wasser gerühmt wird. Leider herrscht im Sommer dort viel Andrang. Nach dem Bad (oder auch nicht) gehen wir über den Weinmeisterweg zur traditionsreichen Gärtnerei Schulz und kehren im gegenüberliegenden Restaurant „Zum Sacrower See“, Weinmeisterweg 1 ein. Gestärkt geht’s anschließend über Weinmeisterweg und Krampnitzer Straße zurück zum Parkplatz. Nicht weit entfernt liegt auch die sogenannte Römerschanze, eine aus der Bronzezeit stammende Befestigungsanlage.

Im L&H Verlag ist ein Buch und eine DVD-Box unter gleichem Titel erscheinen. Das Buch von Jens Arndt mit spannenden Geschichten und bislang kaum gezeigten Fotos und Dokumenten  kostet 29 Euro.

„Sacrow – das verwundete Paradies“
Eine Ausstellung im Schloss Sacrow anlässlich des 60. Jahrestages des Mauerbaus.

Sacrow Cover L & H Verlag

Sacrow Cover L & H Verlag

Sacrow – Informationen

Anfahrt: bis Parkplatz am Ortseingang, von der B2 bei Krampnitz in Richtung Sacrow abbiegen. Oder über kleine Zufahrtsstraße von Berlin-Kladow aus.

mit ÖPNV von Potsdam aus: Bus 697, Haltestelle Schloss Sacrow. Wassertaxi: Haltepunkt Sacrow (Heilandskirche)

Wie das benachbarte Schloss Marquardt avancierte auch Sacrow zum Drehort. Von August 2006 bis Ende 2008 war das Schloss Sacrow mit seinen Nebengebäuden der neue Außendrehort der Telenovela Wege zum Glück, es stellte das Gutshaus der Familie van Weyden dar.

Station des Berliner Mauer-Radweges

Sacrow ist auch eine wichtige Station des „Berliner Mauer-Radweg“.

Weitere Informationen hier:

  • Schloss Sacrow
  • in Park und Schloss Sacrow
  • Krampnitzer Straße 33
  • 14469 Potsdam-Sacrow

Informationen im Internet

„Sacrow – das verwundete Paradies“
Eine Ausstellung im Schloss Sacrow anlässlich des 60. Jahrestages des Mauerbaus.
7. August bis 9. November 2021

Jens Arndt, Sacrow. Das verwundete Paradies. L&H Verlag. Berlin 2020. ISBN 978-3-939629-62-7. www.lh-verlag.com
Das Buch wird begleitet vom gleichnamigen Film von Jens Arndt, einer Produktion des rbb, und der Ausstellung im Schloss Sacrow. Die Einzel-DVD und eine DVD-Box der Filme von Jens Arndt sind ebenso über den L&H Verlag erhältlich.

Der Autor Jens Arndt (geb. 1960) ist Autor, Regisseur und Kurator. Nach mehreren TV-Dokumentationen zu zeitgeschichtlichen Themen veröffentlichte er im Jahr 2011 Ausstellung, Buch und Film über die DDR-Exklave Klein-Glienicke. 2016 folgte „Gärtner führen keine Kriege“ – ebenso als Ausstellung, Buch und Film. 2017 erhielt er für diese Arbeit den Deutschen Preis für Denkmalschutz.

Website www.ars-sacrow.de

oder

www.sacrow-das-verwundete-paradies.de

Der Verein Ars Sacrow e.V.

Der Ars Sacrow e.V. wurde 2002 von engagierten Sacrowern für Sacrow gegründet. Die Aktivitäten der ehrenamtlichen Mitglieder dienen der Belebung des Ortes, der kulturellen Nutzung des Schlosses und damit als Bereicherung für die Anwohner und Gäste Sacrows. Seit 2003 finden unter der Überschrift „Museum für einen Sommer“ regelmäßig Ausstellungen statt. Die jährliche Filmreihe „AugenBlicke im Schloss“ ergänzt das Programm. Dabei werden immer wieder die historische Aufarbeitung und Chronik des Ortes mit zeitgenössischen Themen verflochten, lokale Gegebenheiten bieten Raum für internationale Kunst aller Disziplinen. Ausstellungen der letzten Jahre: