Wieder eine spektakuläre Schau im Potsdamer Museum Barberini: Kosmos Kandinsky. Geometrische Abstraktion im 20. Jahrhundert erzählt als erste Ausstellung in Europa die geometrisch-abstrakte Geschichte nicht in Episoden nationaler Bewegungen, sondern macht Verbindungslinien zwischen ihnen deutlich. Roter Faden der Schau, die bis 18. Mai 2025 im Museum Barberini am Alten Markt gegenüber dem Stadtschloss zu sehen ist, sind zwölf Werke Wassily Kandinskys, der als Zentralfigur der Abstraktion und mit kunstphilosophischen Schriften wie Punkt und Linie zu Fläche Generationen von Künstlerinnen und Künstlern beeinflusste. Insgesamt zeigen 125 Gemälde, Skulpturen und Installationen von 70 Künstlerinnen und Künstlern, wie die Geometrische Abstraktion den Vorstellungsraum ihrer Betrachter immer wieder zur Erweiterung herausfordert. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts vollzog sich in der Malerei ein tiefgreifender Wandel. Künstlerinnen und Künstler strebten nicht länger nach einer Abbildung des Sichtbaren, sondern nach einer neuen, universellen Bildsprache, die den künstlerischen Ausdruck auf das Zusammenspiel von Farben, Linien und Formen reduzierte. Radikal modern, entstanden in Europa und den USA vielfältige Strömungen, die als Geometrische Abstraktion die Grenzen der Malerei ausloteten: Von Suprematismus und Konstruktivismus über das Bauhaus und die britische Nachkriegsabstraktion bis hin zu Hard Edge und Optical Art.
Zu den gezeigten hochkarätern zählen u.a. Josef Albers, Sonia Delaunay, Barbara Hepworth, El Lissitzky, Agnes Martin, Piet Mondrian, Bridget Riley, Frank Stella und Victor Vasarely. Leihgaben der Schau stammen aus der Courtauld Gallery, London, der Fondation Beyeler, Riehen/Basel, dem Louisiana Museum of Modern Art, Humlebæek, der Fondation Gandur pour l’Art, Genf, sowie der Peggy Guggenheim Collection, Venedig. Ebenfalls präsentiert werden Werke aus bedeutenden US-Sammlungen wie dem Whitney Museum of American Art und dem Solomon R. Guggenheim Museum in New York sowie der National Gallery of Art in Washington.
Wassily Kandinsky: Ein Wegbereiter als Vorreiter der Abstraktion
Wassily Kandinsky (1866–1944) gilt als einer der ersten Maler, die den Weg in die Abstraktion einschlugen. Anhand seiner Lebensstationen und der unterschiedlichen Phasen in seinem abstrakten Schaffen werden in der Ausstellung Kosmos Kandinsky in acht Kapiteln zentrale Etappen geometrisch-abstrakter Kunst erfahrbar.
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Frank Stella, Entwurf Nr. 4 für die Sacramento Mail, 1978, 262,5 x 262,1 cm, National Gallery of Art, Washington
Sterre Barentsen, Kuratorin der Ausstellung: „Der Titel Kandinskys Kosmos beschreibt unser Konzept sehr treffend: Zunächst bezieht er sich auf das unglaublich vielfältige künstlerische Umfeld Kandinskys, das er im Lauf seines Lebens so maßgeblich beeinflusste. Immer wieder wurde seine Biographie durch die großen Umbrüche in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gelenkt. Dadurch hinterließ er weitreichende Spuren: im russischen Suprematismus, am deutschen Bauhaus oder in der französischen Abstraction-Création. Nach seinem Tod 1944 waren es die europäischen Exilanten, die Kandinskys Ideen in die USA brachten, wo Hard Edge und Optical Art entstanden. Verbindend für alle diese Strömungen ist aber auch das intensive Ausloten der Darstellbarkeit des Raums durch Mittel der Malerei. Die Künstlerinnen und Künstler waren fasziniert von den Erkenntnissen aus Wissenschaft und Technik ihrer Gegenwart, und sie wollten neue Erfahrungen von Raum und Zeit in ihrer Kunst zum Ausdruck bringen. Auch darin war Kandinsky ein Pionier.“
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Wassily Kandinsky, Betonte Ecken, 1923, Nahmad Collection
Anfänge in München und Moskau
Wassily Kandinsky, geboren in Moskau und zunächst zum Juristen ausgebildet, studierte ab 1896 in München Kunst. Ab 1908 präsentierte er erste, dem Expressionismus zuzuordnende Werke, die sich durch kräftige Farben und vereinfachte Formen auszeichnen. Es folgte die Gründung der Künstlervereinigung Der Blaue Reiter und die immer stärkere Abkehr von der reinen Wiedergabe sichtbarer Realität. 1911 veröffentlichte er das richtungsweisende theoretische Werk Über das Geistige in der Kunst, das bis in die 1970er Jahre die Kunstwelt beeinflussen sollte. Mit Bezug auf Musik, Tanz, Physik und Biologie nahm Kandinsky darin Impulse der Neurowissenschaften auf und verknüpfte sie mit spirituellen Vorstellungen wie der Theosophie, die Kandinskys Schaffen stark beeinflusste. Sein Ziel war der Beweis, dass Farben und geometrischen Flächen universelle Eigenschaften innewohnen, die in einem Wechselverhältnis stehen.
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László Moholy-Nagy: Komposition Z VIII, 1924, Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie, Foto: Weirauch
Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 musste Kandinsky Deutschland verlassen. Er kehrte nach Moskau zurück, wo bereits erste Werke des Suprematismus und des Konstruktivismus entstanden waren. Die Künstlergruppen, zu denen Kasimir Malewitsch, Ljubow Popowa, Iwan Kljun oder El Lissitzky zählten, stellten sich eine Zukunft vor, in der Kunst und Technik, Geist und Verstand vereint waren. Ihre abstrakte Bildsprache aus Linien und geometrischen Flächen wurde zum Ausdruck einer Utopie des Fortschritts. 1917 stellten die meisten Künstlerinnen und Künstler in Russland ihre Arbeit in den Dienst der Revolution und wandten sich der industriellen Produktion zu – Kandinsky, der sich mit der psychologischen Wirkung der Kunst auf den Menschen beschäftigte und von ihrer „inneren Notwendigkeit“ überzeugt war, wurde zum Außenseiter.
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Wassily Kandinsky, Weißes Kreuz, 1922, 100,5
x 110,6 cm, Peggy Guggenheim Collection, Venedig.
Vom Bauhaus nach Frankreich
1922 folgte Kandinsky einem Ruf an das Bauhaus nach Weimar, wo sich der Einfluss der Moskauer Strömungen und ihrer Interpretation von Quadraten, Kreisen, Dreiecken und Linien in seinen Arbeiten niederschlug. Umgeben von Bauhaus-Meistern wie Josef Albers, László Moholy-Nagy oder Johannes Itten wurde sein Stil analytischer, die Formen glatter. 1926 veröffentlichte Kandinsky sein Buch Punkt und Linie zu Fläche, in dem er die für ihn grundlegenden Bausteine der Kunst und ihre emotionale Wirkung untersuchte.
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In Dessau sollte man unbedingt das Bauhaus besuchen Foto: Weirauch
Vernetzung im Exil: London und New York
Der Zweite Weltkrieg war eine entscheidende Zäsur für die Entwicklung der Geometrischen Abstraktion. Mit der deutschen Besetzung von Paris wanderten zahlreiche Künstler, Galeristen und Kritiker in die USA aus – nicht, ohne vorher in London als neuem Zentrum der Geometrischen Abstraktion Zuflucht zu suchen, dort bereits durch Barbara Hepworth und Ben Nicholson ausgelotet
Ortrud Westheider, Direktorin des Museums Barberini, über die Ausstellung: „Kosmos Kandinsky zeigt deutlich, wie unerschrocken und radikal modern die Geometrische Abstraktion zu jedem Zeitpunkt war, und steht dem mitunter formulierten Vorwurf, dass die Geometrische Abstraktion kühl oder ‚inhaltsleer‘ sei, ganz klar entgegen. In ihrer Auseinandersetzung mit den naturwissenschaftlichen Forschungen zum Raum war sie stets Ausdruck und Antrieb großer Ideen. Als internationale Sprache, überschritt sie in einer Zeit des politischen Nationalismus und der Intoleranz in Europa in den 1930er und 1940er Jahren Grenzen. Die 125 herausragenden Leihgaben der Ausstellung verdeutlichen die übergreifende Erzählung, die der stupenden Vielfalt der Geometrischen Abstraktion innewohnt, und wir sind voller Freude, dem Barberini-Publikum diese neue Perspektive eröffnen zu können.“
Der Katalog erschien im Prestel Verlag.
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