Kaufmannsgehilfe, Goldsucher, Schiffsbrüchiger, Kriegsgewinner, Raubgräber und »Entdecker von Troja« auf den Spuren Homers – Heinrich Schliemanns unglaubliches Leben und sein schwieriges Erbe. Frank Vorpahl schildert spannend das Leben von Heinrich Schliemann. Wer sich ernsthaft mit dem Leben Heinrich Schliemanns beschäftigen will, der kommt an dem packend geschriebenen Buch von Frank Vorpahl „Schliemann und das Gold von Troja, Mythos und Wirklichkeit“, erschienen jetzt im Berliner Verlag Galiani nicht vorbei.
Bis heute ist er ein Faszinosum und bis heute ist sein Erbe hochumstritten. Ob Heinrich Schliemann wirklich Troja fand oder ob die Ruinen, in denen er mit brachialen Methoden nach Schätzen grub, etwas ganz anderes waren – bis heute streitet man darüber. Seine wichtigsten Funde, der »Schatz des Priamos« und der »Schatz des Agamemnon« sind erstaunlich. Aber mit Priamos oder Agamemnon haben sie nichts zu tun. Bis heute sorgt sein Gold aus Troja für Streit bis hin zu staatspolitischen Verwicklungen – denn zuerst schaffte Schliemann die goldenen Preziosen illegal außer Landes – dann verschwanden sie am Ende des Zweiten Weltkriegs aus Berlin. Erst 1994 machte die legendäre russische Museumsdirektorin Irina Antonowa bekannt, dass sowjetische Soldaten sie nach Moskau mitgenommen hatten. Und bis heute wird der Wunsch der Berliner Archäologen verwehrt, den Schatz des Priamos leihweise nach Berlin zu bringen, abgelehnt. Auch die Türkei beansprucht den Schatz. All diese Ent- und Verwicklungen schildert Frank Vorpahl, der von Anfang an als Journalist und Historiker mit Schliemann und seinen Ausgrabungen befasst war.
Selbst bei Archäologen ist Schliemann so umstritten wie verhasst, und auch wenn die Hälfte von ihnen ohne jugendliche Schliemann-Lektüre etwas ganz anderes geworden wäre – dass er die Funde ganzer Kulturperioden als Schutt entsorgte, bleibt ein Sakrileg.
Schliemanns ganzes Leben liest sich wie eine sagenhafte Tellerwäschergeschichte: Aus dem Krämergehilfen in Fürstenberg an der Havel wurde im kalifornischen Goldrausch der Gründer einer Bank, in Russland wurde Schliemann mit Schießpulver-Spekulationen während des Krimkriegs zum Millionär – dann zog er als Reiseautor und Schatzgräber auf den Spuren Homers durch die Welt. Fest steht: Kaum ein Deutscher hat die Fantasie der Menschen so beflügelt wie Heinrich Schliemann. Weshalb von ihm zu lesen spannend wie ein Krimi ist.
Hier Auszüge aus dem Buch von Frank Vorpahl: „Vor allem aber erkannte Heinrich Schliemann im Frühjahr 1844 in seiner zweiten Stellung in Amsterdam als Buchhalter und Korrespondent im „Comptoir der Herren H.B. Schröder & Co.“ (Keizergracht 71) den Wert exklusiver Fremdsprachenkenntnisse in seinem Metier: „Da ich nämlich glaubte, dass ich mich vielleicht durch die Kenntnis der russischen Sprache noch nützlicher machen konnte, beeilte ich mich, auch diese zu lernen. Trotz alle meiner Nachfragen konnte ich keinen Lehrer des Russischen finden, denn Niemand in Amsterdam verstand ein Wort von dieser Sprache. Ich machte mich also daran, ohne Lehrer zu studieren.“ Während er an allem knauserte und von Schwarzbrot und Bier lebte, sich zwar gediegene Anzüge leistete, aber an der Unterwäsche sparte, investierte er von seinem nicht eben üppigen Salär wöchentlich vier Franken „für einen armen Juden, der jeden Abend kommen musste, um zwei Stunden hindurch meine russischen Vorträge anzuhören, von denen er nicht eine Sylbe verstand.“
Tatsächlich fiel seinem Chef bald auf, dass Schliemann zu mehr taugte als zum Bürogehilfen. Bei öffentlichen Versteigerungen konnte sich der junge Deutsche offenbar flüssig mit den russischen Händlern verständigen, die zu Indigo-Auktionen nach Amsterdam kamen. Da mit der in Indien gewonnenen Blaufärberpflanze in Russland hohe Gewinne zu erzielen waren, durfte Schliemann sich bald darauf, im Januar 1846, nach Sankt Petersburg aufzumachen, um in der russischen Hauptstadt eine Schröder’sche Niederlassung zu gründen. Schon ein Jahr später machte sich der energische junge Handelsagend aus Holland selbstständig und kaufte und verkaufte von nun an auf eigene Rechnung.“ „Die furchtbare Passion für Sprachen, die mich Tag und Nacht quälte“, bekannte Schliemann ein Jahrzehnt später in einem Brief an seine Tante in Mecklenburg. „ist jetzt schon seit Jahren in blutigem Kampf mit meinen zwei anderen Leidenschaften: dem Geiz und der Habgier.“ Vorpahl: Der aufgesetzte selbstironische Duktus dieser Zeilen war indes nicht so weit von der Wahrheit entfernt. Immerhin konnte Schliemanns Großhandelsfirma im Jahre 1856 einen Umsatz von 13 Millionen Talern verbuchen.
Mochte man den nur 1,57 Meter großen Schliemann, der sich für Banketts in seiner Villa einen Stuhl mit unauffällig erhöhter Sitzfläche bauen ließ, während seine Tischgäste etwas tiefer Platz nehmen mussten, nun für größenwahnsinnig oder ein wenig spleenig halten – er wurde in einer Weise hofiert, wie es sich der Krämergeselle in Fürstenberg an der Havel 50 Jahre zuvor wohl niemals hätte vorstellen können. Und doch scheint es, als bräuchte er immer neue Rückmeldungen der eigenen Bedeutsamkeit. Genügte es ihn nicht, mit Otto von Bismarck, dem deutschen Reichskanzler, in Bad Kissingen familial zu tafeln?
Oder in Potsdam zum Abendessen mit Kronprinz und Kronprinzessin geladen zu werden? Als er 1883 einen Sommermonat mit Frau und Kindern in seinem Heimatort Ankershagen verbringt, reißt das Defilee von von Bewunderern nicht ab, obwohl Schliemann „Verwandte, Freunde und Bekannte“ per Inserat in der Neustrelitzer Zeitung darum gebeten hatte, „auf allen und jeglichen Besuch verzichten zu wollen.“ Die University of Oxford ernennt ihn im Juni 1883 zum Ehrendoktor und macht ihn zum Ehrenmitglied des Queen’s College. Zwei Jahre später verleiht ihm Queen Victoria die „große goldenen königliche Medaille für Kunst und Wissenschaft“. Doch Schliemann, das bemerken viele seiner Besucher, wurde nicht gelassener mit den Jahren, sondern strahlt eine immense innere und äußere Rastlosigkeit aus.
Zu Schliemanns Geburtstag kam eine Sonderbriefmarke heraus.
Hier geht es weiter auf Spurensuche bis in die Jetztzeit:
Frank Vorpahl, Schliemann und das Gold von Troja, Mythos und Wirklichkeit. Galiani, Berlin 2021. www.galani.de
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