Wohin? Nach Sylt – in übervollen Zügen, mit vielen Unannehmlichkeiten wie Verspätungen, wenig Komfort, Stress pur. Und das für ein Wochenende? Mein Vertrauen in die Bahn verläuft eh gegen Null, nachdem man sich nun auch vom Pünktlichkeitsziel zurückgezogen hat. Also verlassen wir uns lieber auf unser Auto, denn es zieht uns nach Wustrau (Ostprignitz/Ruppin). Man könnte zwar bis Radeleben mit dem Zug fahren, dann ca. vier Kilometer bis nach Wustrau laufen oder mit dem Fahrrad fahren. Aber ein Fahrrad mit in den Zug nehmen, davor warnt die Bahn aus bekannten Gründen dieser Tage sehr. Wir fahren mit dem Auto – nicht über die Autobahn, das wäre der kürzeste Weg, aber mit den Baustellen auf der A24 auch der langsamste. Dann lieber über Landstraßen mit Halt an schönen Aussichtspunkten. Derer gibt es einige um Wustrau herum genug: der bekannteste ist wohl die Fontane- und Schinkelstadt Neuruppin. Die sind einen eigenen Ausflug wert. Aber die Stülerkirche in Langen oder auch Radensleben mit dem Schloss derer von Quast und dem eindrucksvollen Campo Santo, auf der Ferdinand von Quast und seine Familie angelegten hinter dem Ostchor der Radenslebener Kirche ruhen.

Vorbei an Karwe gen Wustrau

Karwe, rund 60 Kilometer nordwestlich von Berlin am Ruppiner See gelegen ist wunderschön. Das einstige Rittergut beschrieb Fontane ausführlich in den „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“. Es gehörte seit 1721/1722 der altmärkischen Familie von dem Knesebeck. Das 1724 erbaute Gutshaus wurde 1983 abgerissen. Dank des Rückerwerbs durch Krafft Freiherr von dem Knesebeck und seiner Familie nach 1990 wurde Karwe aus seinem Dornröschenschlaf erweckt und mit neuem Glanz zu einem reizvollen Dorf gestaltet. Ferienwohnungen mit Blick zum Ruppiner See entstanden auf dem Gutgelände. Der ehemalige Pferdestall wurde als Wohnsitz der v. Knesebecks eingerichtet, die Kirche mit dem Kirchhof bieten ebenfalls viel preußische Geschichte. Wer über den Ruppiner See schaut, der sieht auf der gegenüberliegenden Seite schon das Wustrauer Schloss, dass auch in diesem Sommer wieder Kulisse für das Wustrauer Seefestival sein wird. Vom 15. bis 31. Juli 2022 sind das Schloss und der Ruppiner See Kulisse für „Spamalot“. Die Geschichte von König Arthus und seiner Tafelrunde handelt von Rittern und ihren Heldentaten auf der Suche nach dem heiligen Gral. Eine lustvolle Reise – voll von britischem Humor erwartet die Gäste des Sommerfestivals. Wird man den Gral in Wustrau finden?

nach Wustrau

Wir wollen heute Wustrau nutzen, um tiefer in die preußische Geschichte einzutauchen. Ein malerischer Ort, in dem man sich wohl fühlen kann. Sehen, Staunen, Erleben! – So wirbt ein Flyer für das Brandenburg-Preußen Museum in Wustrau. Es liegt am Südende des Ruppiner Sees und erwartet seine Gäste mit offenen Türen. Gegenwärtig wird der Parkplatz für ein Veranstaltungszentrum (u.a. auch Museumspädagogik) umgebaut. Der Alte Zieten, an dem man vorbeigehet, schaut hinüber zum Friedhof (vermeine ich), scheint zu sagen, dass wir diesem nach dem Museumsbesuch auch einen Besuch abstatten sollen. Das Dorf Wustrau ist die Heimat von Hans Joachim von Zieten, dem berühmten Husarengeneral Friedrichs II. von Preußen. Und wieder begegnen wir auch hier Fontane, denn seine „Wanderungen“ beginnen an diesem Ort.

Zwischen der Kirche mit den Zietengräbern (einer von ohnen war u.a. Landrat) und dem barocken Pfarrhaus steht das Brandenburg-Preußen Museum. Hier kann man eintauchen in über 500 Jahre brandenburgisch-preußische Geschichte unter den Hohenzollern. Und erfährt kurzweilig, dass Preußen für religiöse Toleranz, für Bildung und Spitzenforschung und für den Beginn des modernen Sozialstaates steht. Man wird im Museum nicht mit Marschmusik und Pickelhaube begrüßt, das ist angenehm. In Zeiten, wo das Säbelrasseln schnell aus den Fugen geraten und weltweit bedrohlich werden kann, ist es wichtig, auf seine Wurzeln zurückzuschauen. Wovon träumten unsere Vorfahren, wie lebten sie, worüber konnten sie sich freuen, weinen, erregen? Wer sich Zeit nimmt, wird in der Ausstellung auf wichtige Tatsachen treffen, die heute – angesichts der desolaten Lage Deutschlands und der Welt, fast vergessen sind.

Überarbeitete Dauerausstellung

Seit 2020 präsentiert das Brandenburg-Preußen Museum in Wustrau eine komplett überarbeitete Hauptausstellung. Beginnend mit der wohl einzigen kompletten Portraitgalerie aller Brandenburgischen Kurfürsten, preußischen Könige und Deutschen Kaiser erhalten die Besucher einen vielseitigen Überblick über die Geschichte Brandenburgs und Preußens, von der Christianisierung mit Kreuz und Schwert im Hochmittelalter bis zum Ende der Hohenzollernmonarchie 1918.

Firmen mit bis heute großen Namen gaben den Menschen Arbeit, auf die sie stolz sein konnten. Die industrielle Entwicklung Deutschlands mit all ihren negativen Schattenseiten, brachte um 1900 dennoch 20 Nobelpreisträger hervor, so viele hatte keine der Großmächte vorzuweisen. Auf diese Leistungen konnte man stolz sein. Und so langsam bildete sich der Sozialstaat mit Kranken- und Arbeitslosen-Versicherung heraus. Angeprangerte Kinderarbeit, 8-Stunden-Arbeitstag, Frauenwahlrecht – die Arbeitsverhältnisse veränderten sich, Freizeit wurde möglich … 

Alles wird illustriert mit zahlreichen Exponaten, graphischen Darstellungen, Plänen, die das Einordnen in das Große und Ganze erleichtern. 

Wustrau.Brandenburg

Deutschlands Nobelpreisträger zu Beginn der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts

(K)ein Kinderspiel

Das alles ist (K)ein Kinderspiel, wie die Sonderausstellung in der zweiten Etage des Brandenburg-Preußen Museum feststellt. Thematisiert wird Spielzeug als Spiegel der Industrialisierung. Kindheitserinnerungen werden wach. Mich faszinierten immer Glasmurmeln, wer hatte die schönste, die größte? Wie wurden sie hergestellt? Meine Mutter erklärte mir: „In einer Glasbläserei“, später als Erwachsene erlebte ich im Glasbläserdorf Baruth, wie mühsam die Herstellung von Glassachen ist. Zunächst Manufaktur, dann industrielle Arbeit. Anhand kleiner Dinge werden die großen zeithistorischen Zusammenhänge dargestellt.

Spielzeug Brandenburg Preußen Museum

Ein Bogen vom rasanten Bevölkerungswachstum des 19. Jahrhunderts und dem Zug der Menschen in die Städte über den technischen Fortschritt durch die Eisenbahn, Elektrifizierung und die Chemie bis zur Entstehung der Markenwelten und den Anfängen der Freizeitindustrie. Kinderarbeit und Militärspielzeug in den Kinderzimmern werden nicht ausgespart. Nachdenklich machen die Worte Heinrich Zilles: „ Von’s Vergnügen der reichen Leute ham wir Armen doch noch immer wat: von die Pferde die Wurscht, von die Zigarr’n und die Zigaretten die Stummel, von die Flieger die Notdurft un’ von die Automobile den Jestank.“

Dr. christan Arpasie zeigt auf den Standort für das neue Veranstaltungszentrum

Dr. Christan Arpasi zeigt auf den Standort für das neue Veranstaltungszentrum

Hier weitere Informationen zu der spannenden Ausstellung

  • Brandenburg-Preußen Museum
    Eichenallee 7a, 16818 Wustrau
  • www.brandenburg-preussen.de
  • Öffnungszeiten
    Dienstag – Sonntag:
    April – Oktober: 10 – 18 Uhr
    November -März: 10-16 Uhr
  • Winterpause von Mitte Dezember bis Mitte Februar

Anfahrt
Mit Auto über A24 Berlin-Hamburg, Abfahrt Neuruppin Süde, dann abbiegen Richtung Ferbellin, 5 Kilometer über Dammkrug und Langen nach Wustrau

Mit Bahn (RE 6) alle zwei 2 Stunden bis Wustrau – Radensleben, dann ca. 25 Minuten Fußweg. Während der Saison mit dem Ausflugsdampfer von Neuruppin nach Wustrau. Von Neuruppin führt außerdem ein Radweg (11 Kilometer) am Westufer des Sees entlang nach Wustrau.

Essen
Café Constance
Preußische Dorfidylle am Ruppiner See. In einem ehemaligen Theatersaal genießt man selbstgebackenen Kuchen und Anderes.
Hohes Ende 4, 16818 Wustrau, www.cafe-constance.de, Donnerstag/Freitag 14-17 Uhr, Samstag/Sonntag 12-17.30 Uhr

Fischerei Pfefferkorn
Allerlei Fischspezialitäten, schöner Platz direkt am Wasser
Am Teich 10, 16818 Neuruppin
Öffnungszeit: täglich 12-18 Uhr

Unbedingt anschauen: Zugbrücke von Altfriesack

Technisches Denkmal Zugbrücke Altfriesack

Buchtipp: Andreas Bödecker, Helga Tödt, Hrsg. Brandenburg-Preußen Museum, Spione. Erfinder. Unternehmer – Preußens Industrialisierung in Lebensbildern. be.br verlag, Berlin-Brandenburg 2021. www.bebraverlag.de

 Spione. Erfinder. Unternehmer – Preußens Industrialisierung in Lebensbildern.
Andreas Bödecker, Helga Tödt Spione, Erfinder, Unternehmer Preußens Industrialisierung in Lebensbildern 640 Seiten, 17,5 x 24,5 cm, Broschiert, 200 farbige Abbildungen März 2022 24,– € ISBN 978-3-89809-206-7

Andreas Bödecker, Helga Tödt Spione, Erfinder, Unternehmer, Preußens Industrialisierung in Lebensbildern
640 Seiten, 200 farbige Abbildungen, 24, Euro, bebra-Verlag Berlin
ISBN 978-3-89809-206-7

Ein Spion aus Neuruppin, eine Berliner Erfinderin, die von ihrem Ehemann erstochen wurde: Anhand der Biographien von achtzehn, teils berühmten, teils weniger bekannten Männern und Frauen macht dieses Buch die Zeit der Industrialisierung anschaulich. Viele technischen Errungenschaften, die heute zu unserem Alltag gehören, wurden in dieser Epoche erfunden, die mit dem Ersten Weltkrieg endete: Eisenbahn, Elektrische Straßenbahnen und Straßenbeleuchtung, Strom in den Häusern, künstliche Farbstoffe und Lacke, Automobile, luftgefüllte Gummireifen, Kunstdünger, Aspirin, Telefon, U-Bah, Flugzeuge, elektrische Waschmaschinen, das Wasserklosett, die Kleinbildkamera.

Was es mit dem Spion aus Neuruppin auf sich hat und was dieser mit den Humboldts zu tun hat, das lest ihr hier im Beitrag über die Hettstedter Feuermaschine.

Dampfmaschine Hettstedt Technikgeschichte

 

Christian Arpasi hat an der Universität Potsdam und der Humboldt-Universität zu Berlin Geschichte und Archäologie studiert und sich auf die Geschichte Brandenburg-Preußens spezialisiert. Nach verschiedenen Stationen als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Ausstellungs-, Editions- und Filmprojekten hat er fünf Jahre für die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten gearbeitet, zuletzt als stellvertretender Bereichsleiter im Schloss Sanssouci. ­

Do., 20. Oktober 2022, 18.30 Uhr

Buchvorstellung: Spione, Erfinder, Unternehmer – Preußens Industrialisierung in Lebensbildern
von Helga Tödt und dem Stiftungsvorstand Andreas Bödecker

Ein Spion aus Neuruppin, eine Berliner Erfinderin, die von ihrem Ehemann erstochen wurde: Anhand der Biografien von achtzehn, teils berühmten, teils weniger bekannten Männern und Frauen veranschaulichen Helga Tödt und Andreas Bödecker die Zeit der Industrialisierung. Viele der Erfindungen und technischen Errungenschaften, die heute zu unserem Alltag gehören, wurden in dieser Zeit bis zum 1. Welt­krieg entwickelt: Eisenbahn, Straßenbeleuchtung, Strom in den Häusern, künstliche Farbstoffe, Automobile, Kunstdünger, Aspirin, Telefon, U-Bahn, Flugzeuge, elektrische Waschmaschinen. Der Kinderarbeit, der Bildungspolitik im 19. Jahrhundert und der Rolle der Frauen in der Volkswirtschaft der Zeit sind eigene Kapitel gewidmet.

Marius Krohn, Leiter des Industriemuseums Brandenburg, wird die Präsentation moderieren.

Veranstaltungsort
Die Buchvorstellung findet statt im stillgelegten Stahlwerk in Brandenburg, August-Sonntag-Straße 5, 14770 Brandenburg an der Havel.

Anmeldung
Anmeldungen bitte an: kontakt @ industriemuseum-brb.de. Eine gemeinsame Veranstaltung mit dem Industriemuseum Brandenburg an Havel.


Andreas Bödecker, geboren 1958, war nach dem Studium in Freiburg und Stanford und anschließender Promotion 25 Jahre lang Mitglied der Geschäftsleitung einer Privatbank in Berlin. Zurzeit arbeitet er als Rechtsanwalt und Verwalter mehrerer Stiftungen. Seit 2013 leitet er das Brandenburg-Preußen Museum Wustrau.

Helga Tödt, geboren 1946 in Braunschweig, arbeitete nach dem Medizinstudium und der Promotion an der FU Berlin in verschiedenen Funktionen als Fachärztin und Amtsärztin im öffentlichen Gesundheitsdienst. Helga Tödt hat bereits mehrere historische Biographien veröffentlicht.

Cover Brandenburg Neuruppin Museum

Und hier geht es zum Denkmal in Löbejün,

ein wohl in Europa einzigartig erhaltener Dampfzylinder. Lest selbst.

Löbejün Sachsen-Anhalt Dampfmaschine