Schon desöfteren habe mich hier mit dem Thema Bier beschäftig, Brauereien vorgestellt, die Stationen der Bierstraße (derer es mittlerweile mherere gibt) besucht und über ein Brauseminar geschrieben. Nun gibt es einen neuen Bier-Guide, den ich gern empfehlen möchte. Gestern noch war die Welt des Bieres so herrlich einfach strukturiert, dass wir uns nach sechs Halben immer noch blind in ihr zurechtfinden konnten. Im Norden zweifelte niemand daran, dass das Pils das Maß des guten Geschmacks sei, im Süden ließ sich das lebendige Inventar eines Wirtshauses ein Helles oder ein Weizen zapfen – und Ende.
Martin Droschke, Norbert Krines, 111 Deutsche Craft Biere, die man getrunken haben muss,
Die Autoren leisten Aufklärung: über die mit der Craft-Beer-Welle entstandenen Bierstile, das Reinheitsgebot und historische Sorten, die verschwunden sind und im Zuge der neuen Bierkultur mehr und mehr wiederbelebt werden. Ein kundiges wie kurzweiliges Buch, dass die Geschmacksknospen anregt, eine neue Bierkultur zu entdecken. Denn die Biere gelten als Deutschlands neue Gourmetkultur. Flaschen, auf denen Begriffe wie Porter stehen, kosten so viel wie ein anständiger Wein, werden von Craft-Beer-Brauern und -Labels befüllt und bieten Geschmackserlebnisse in einer nie da gewesenen Vielfalt und Tiefe. Dieses Buch versteht sich als ein kleiner Führer zu einigen dieser Bierkünstleer. Gleichzeitig will es aufklären: über die mit der Craft-Beer-Welle zu uns eingewanderten und deshalb noch ungewohnten Bierstile, das Reinheitsgebot und historische Sorten wie die 1.000 Jahre alte Goslaer Gose, die verschwunden sind und im Zuge der neuen Bierkultur mehr und mehr wiederbelebt werden. Unlängst erlebte ich in Leipzig die Wiedergeburt der Leipziger Gose.
Carft-Beer-Künstler verwenden gern auch mal die zehnfache Menge an Hopfen oder reifen ihre Sude in Holzfässern, die mit Whisky vorbelegt waren. Das schmeckt man. Sie scheuen sich nicht davor, auch mal Gurken, Pfefferkörner oder Ingwer mit in den Sudkessel zu werfen. Aber alle halten sich an eine goldene Regel: keine künstlichen Aromen, keine Tricks aus dem Zauberkasten der Lebensmittelindustrie. Viele von ihnen sind Quereinsteiger. Andere entstammen Familien, die das Bierhandwerk seit Generationen pflegen. Probieren Sie sich durch ihre Kreationen.
Original Leipziger Gose
Erfunden wurde der erfrischende Durststiller in der damaligen Kaiserpfalz Goslar, das genaue Alter der Gose ist unbekann, man nimmt an, dass sie bereits vor 1000 Jahren kredenzt wurde. 1375 regelte Joohann I. von Anhalt-Zerbst in einem Erlass, woraus man sie zu brauen hatte. Unser heutiges, gern als „älteste Lebensmittelverordnung der Welt“ tituliertes Reinheitsgebot stammt erst von 1516. 1824 eröffnete in Döllnitz bei Halle in der heutigen Gosestraße die erste regionale Gosebrauerei.
Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein war Leipzig die wohl einzig Stadt in Deutschland, in der das moderne Lagerbier nicht die Oberhand gewinnen konnte. Erst zu DDR-Zeiten, als das Brauwesen verstaatlicht und dann auch noch zentralisiert wurde, verschwand die Gose für zwei Jahrzehnte aus den Zapfhähnen. Warum dieser selbst von Feinschmecker Johann Wolfgang von Goethe schwer geschätzte Biertyp dazu geeignet ist, an der Legende vom allein selig machenden Reihheitsgebot zu rütteln? Gose enthält Korianer. Gose enthält Salz. Gose wird nicht nur mit Hefe, sondern mit Milchsäure vergoren. Deshalb schmeckt sie stark säuerlich. Man braucht ein, zwei Gläser, bis man sie zu schätzen weiß. Dann aber liebt man ihre edle Derbheit: nicht so etepete wie Champagner, aber mindestens so belebend.
Informationen Bayerischer Bahnhof
- Bayerischer Bahnhof, Bayerischer Platz 1, 04103 Leipzig
Tel. 0341 1245760
Homepage: www.bayerischer-bahnhof.de
Bierprofil: helle Gose, Weizen, Dunkles, Pils, saisonal: dunkler Bock, Berliner Weiße
Holzfassgereifter Eisbock Brauhaus Faust
Als geschmackvollster Unfall der Geschichte bezeichnen ihn die Autoren. Es war einmal … in einem kalten Januar so um das Jahr 1890. In einer Brauerei in Kulmbach, einem Städtchen im Norden Bayerns, kam ein Geselle der letzten Aufgabe des Tages nur noch unzureichend nach. Er übersah ein Fass, das er vom Hof in den Lagerkeller räumen sollte. Je nachdem, wer die Legende erzählt, wurde es am nächsten Morgen oder aber erst beim nächsten Tauwetter entdeckt. Der Frost hatte die Dauben gesprengt, der Inhalt war zu Eis erstarrt – klar, transparent, mit einem braun schimmernden, flüssigen Kern. Zur Strafe musste der Geselle den jetzt trinken. Er scheckte ihm gar köstlich, aber schon nach wenigen Schlucken kippte er betrunken um.
Der Eisbock ses Brauhauses Faust in churfranken (mehr zu Churfranken lesen Sie hier) wird nach dem Ausfrieren mehrere Monate ausgebaut. In einem „Kapelle“ genannten Keller tief unter dem Stammhaus reift er in Eichenholzfässern, damit die anfangs einen kleinen Tick zu dominanten Malz- und Dörrobstaromen in einer komplexen Komposition aus Sherry-, Marzhipan- und Schokoladennoten aufgehen. Es gibt nur eine Abfüllung im Jahr, die immer eine Nuance anders ausfällt. Sündhaft teuer. Wird getrunken wie Likör. Absolut genial, loben beide Autoren, passt es zum Beispiel zum Dessert.
Informationen Brauhaus Faust
Brauhaus Faust, Hauptstraße 219, 63897 Miltenberg
Tel. 09371 97130
Homepage: www.faust.de
Bierprofil: holzfassgereifter Eisbock, Braureserve 1237 (Barley Wine), Auswandererbier (India Pale Ale), Johann Adalbert Hochzeitsbier (hopfengestopftes Lager), Jahrgangsbock, Vollsortigment an traditionellen Bieren.
Gersdorfer Ale von Glückauf – Brauerei
Welches deutsche Pils, Ale, Alt oder Stout besser als perfekt ist, darüber stimmen zwölfmal im Jahr die 1500 Mitglieder des Pro-Bier-Clubs ab. Nachdem sie 2015 bereits im Oktober einen absoluten Außenseiter zu ihrem Bier des Monats gekürt hatten, erklärten sie ih schließlich zu ihrem Bier des Jahres. Dieses Allerperfekteste kommt, man mag es fast nicht glauben, aus Sachsen – in Sachen Braukunst eigentlich ein Sorgenkind unter den 16 Bundesländern – und hört auf den Namen Gersdorfer Ale. Gersdorf ist eine 4000-Seelen-Gemeinde im Kreis Zwickau. Seit 1880 darf sie sich darüber freuen, dass sie dank der Glückauf-Brauerei in einem weiten Umkreis in aller Munde ist. Dass die Sudstätten zu DDR-Zeiten nicht der Zentralisierung der Getränkeindustrie zum Opfer fiel, zeugt von hohem Qualitätsbewusstsein.
Informationen
Glückauf-Brauerei, Hauptstraße 176, 09355 Gersdorf
Tel. 037203 9100
Homepage: www.glueckaufbiere.de
Bierprofil: Gersdorfer Ale, Kräusenbier, diverse Pils-Variaten, Helles, Dunkles, Bock.
Schwarzer Abt von Neuzelle
Der 3. Oktober 1990, an dem die DDR ihre Eigenständigkeit aufgab und unter dem Namen „Neue Bundesländer“ der BRD beitrat, war keineswegs ein Tag der reinen Freunde – für die deutsche Biervielfalt. Bis dahin galt für ostdeutsche Brauereien die Nummer 7764 der Technischen Güte- und Liefervorschriften, die eine Fülle von im Westen streng verbotenen Zutaten zuließ. Die deutlich freiere Handhabung des Reinheitsgebots, die der Mangelwirtschaft geschuldet war, hatte neben Chemie im Pils auch eine unbestritten positive Seite. Dank ihr hatten im Sozialismus historische Bierstile überlebt, die drüben im Kapitalismus ausgerottet wurden, als wären sie so geführlich wie die Pest.
Eines der Todesopfer war der Schwarze Abt der 1589 gegründeten Brauerei des Klosters Neuzelle in Brandenburg, ein Dunkles mit nur 3,9 % Alkohol. Über 400 Jahre lang hatte sich niemand daran gestört, dass seine charakteristische, von Kaffeearomen umspielte Süße nicht nur auf Malz, sondern auch auf bis zu 2 % mitverbrautem Invertzucker basiert.
Auf ewig muss der Gaumen den neuen Besitzern der 1948 verstaatlichten, 1992 reprivatisierten Sudstätte dankbar sein. Zwölf Jahre lang kagten sie sich durch die Instanzen, bis 2005 Prof. Dr. Driehaus, Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht, einen Präzedenzfall schuf, der in 15 Bundesländern den Spielraum der Kreativbrauer neu vermaß. Es „darf gebraut werden“, so sein Urteil. Seither beharrt nur noch Bayern auf 100 % Reinheitsgebot und verweigert Ausnahmegenehmigungen.“
Informationen
Klosterbrauerei Neuzelle, Brauhausplatz 1, 15898 Neuzelle
Tel. 033652 8100
Homepage: www.klosterbrauerei.com; www.neuzeller-bier.de
Bierprofil: etwa 40 Sorten, eine breite Mixtur aus traditionellen Sorten, Craft Beer nach dem Reinheitsgebot und Kompositionen mit verwegenen Zutaten wie Ingwer, Äpfeln und Kartoffeln.
Choco Porter
Das cremige Choco Porter vom Craft-Beer-Ableger der 1887 gegründeten Weißbierbrauerei Maisel aus Bayreuth in Nordbayern, will am liebsten am arbeitsfreien Sonntag getrunken werden, nachmittags, wenn man in jene Trägheit hineinrutscht, die sich nur durch ein Schläfchen vertreiben lässt. Eine schwere Süße, die von einem bauchigen Malzkörper getragen wird. Eine üppige Auswahl an Schokoladen- und Kaffeearomen – als säße man in einer Konditorei.
Ursprünglich sollte das extrem geschmeidige Dunkle nur im „Liebesbier“ ausgeschenkt werden, der Erlebniswelt von Maisel & Friends, einer der besten Bierlocations in Deutschland, aber zu viele Gäste wollten es zu Hause auf dem Sofa genießen.
Informationen Maisel & Friends,
Maisel & Friends, c/o Brauerei Gebrüder Maisel, Hindenburgstraße 9, 95445 Bayreuth
Tel. 0921 4010
Homepage: www.maiselandfriends.com
Bierprofil: Choco Porter, Stefan’s India Ale (India Ale) Jeff’s Bavarian Ale (dunkler Bock), Marc’s Chocolate Bock (Stout), Pale Ale, India Pale Ale, Citrilla (Weizen India Pale Ale), limitierte Sondersude, im Liebesbier bis zu 45 fassgereifte Varianten.
Dampfer Bier aus Brandenburg – Plaue
1997 führte Bätz in seiner Kneipe „Kneipe Pur“ Hausgebrautes ein. Anfangs entstand es im Rahmen von Braukursen, die immer mit der Pflicht verbunden waren, das Ergebnis restlos auszutrinken. 2003 gönnte er sich ein größeres Sudwerk. Seither zapft er nur noch eigene Kreationen. Aufs Jahr verteilt rund 40 Sorten. Un was für welche! Ein mit Backhefe vergorenes Haferbier. Ein Ale mit Honig von den Kleewiesen direkt hinterm Haus. Und als kollektive Mutprobe jedes Jahr an Christi Himmelfahrt ein Knoblauchbier. „Verträgt“, laut Etikett – wie alle anderen – , „Ex-Trinken ohne Widerstand“.
Wer schon einmal die weltberühmte böhmische Brauerei Pilsner Urquell besucht hat, kennt die nur dort ausgeschenkte, verdammt gute Version der Mutter aller Pils-Biere. So, wie sie ideal wäre, mundet Gernot Bätz‘ Dampfer Bier.
Informationen Pur Bräu, Kneipe Pur Plaue
Pur Bräu, Kneipe Pur, Lewaldstraße 23a, 14774 Brandenburg an der Havel
Tel. 03381 403466
Homepage: www.kneipepur.de
Bierprofil: etwa 40 wechselnde, saisonale Sorten, die von den verschiedensten Bierkulturen der Welt inspiriert sind, historische Stile wiederauferstehen lassen oder bei denen mit regionalen Rohstoffen experimentiert wird.
Infos zum Buch:
Martin Droschke, Norbert Krines, 111 Deutsche Craft Biere, die man getrunken haben muss, Emons Verlag GmbH, 16,95 Euro
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