Es ist ein Buch nach meinem Gusto. Viel habe ich schon über das Leben von Theodor Fontane gelesen. Oft sind die Biographien geglättet. „Der Wanderer“ aber von Hans-Dieter Rutsch entdeckt Fontane neu, spart bislang kaum Bekanntes nicht aus. Und beantwortet oft gestellte Fragen. Hier einige Aspekte aus dem lesenswerten Buch:
Fontane – Denkmal in Neuruppin
Auf Seite 15 schreibt Hans-Dieter Rutsch: „An der rechten Seite des Fontane-Denkmals ist eine Inschrift angebracht. Sie besteht aus vier Wörtern: „Dem Dichter der Mark“. Und schon beginnen die Missverständnisse. Als Dichter einer Landschaft oder Region verstand Fontane sich nie. Als Preuße sicherlich. Vor allem aber als ein Deutscher mit französischem Namen. Die Welt grübelt heute noch immer, in welcher politischen Ecke sie diesen deutschsprachigen Autor und sein Werk ansiedeln kann.
Fontane, ein blinder Preußenverehrer? Fontane, ein Feminist? Wer auf eindeutige Antworten hofft, so Rutsch, wird enttäuscht werden. Hunderte Germanisten auf allen Kontinenten sind ihm auf der Spur. Eine rein deutsche Angelegenheit ist diese literarische Erkundung schon lange nicht mehr.
Über Emilie Fontane
Fontanes Ehefrau heißt es auf Seite 17 u.a.: „Emilie Fontane fühlt sich als Ehefrau oft im Schatten ihres Mannes. Wieder und wieder schreibt sie seine Texte ab, redigiert, macht Vorschläge, äußert sich in Gesprächen. Oft geht er darüber hinweg, überarbeitet seine Texte erneut. Nun muss das von Strichen durchzogene Manuskript noch einmal abgeschrieben werden. So ergeht es Emilie Fontane ein Leben lang. Krisen schütteln die Ehe der beiden, auch schon die Zeit der fünfjährigen Verlobung. Zwei uneheliche Kinder zeugt der Dichter während der Verlobungsjahre „nebenbei“ in Dresden. Es wird eines der großen Geheimnisse der Fontanes.
Emilie sehnt sich nach Geborgenheit, er nach Erfolg als Autor. Eine achtundvierzigjährige Ehe der beiden und Tausende von Briefen gehören zur Bilanz ihrer Beziehung. Sie schreibt über die schweren Gewitter über ihren Häuptern und das Gefühl, getäuscht zu werden. Wann immer sie an ihm zweifelt, fehlt Hoffnung. Er kann so zärtlich und so hart antworten. Dieser Briefwechsel erzählt, wie sehr in der Ehe alles auf das Leben eines Menschen ausgerichtet ist: den Autor Theodor Fontane. Ihre Wohnung ist stets ein literarisches Büro, und alle Familienangehörigen stehen im Rang von Mitarbeitern.“
Fontane – Der Wanderer (S.25f)
Der Wanderer Fontane wird uns anempfohlen. Aber eine Enttäuschung muss vorweggenommen werden: Fontane ist mehr mit der Kutsche gefahren, als dass er lief. Meist zwang die knappe Zeit zur Eile. Auch der beschauliche Blick der Neuruppiner Bronzestatue in die Landschaft ist eher eine Wunschvorstellung des Bildhauers als die Wirklichkeit des Autors Fontane. Mag sein, es hat ab und an beschauliche Augenblicke gegeben. Meistens zum Essen in den Gasthöfen. Ansonsten hetzte er von Ort zu Ort, war heute hier und morgen dort und dann schon wieder ganz woanders. Oder er schrieb. Dann reiste er in Gedanken noch einmal die Wege ab, durchschritt Kirchenräume und Schlösser.
Fontanes einziges Hilfsmittel ist sein Notizbuch. Meist nutzt er die frühen Morgenstunden, um in seiner Unterkunft zu notieren, was er am Tag zuvor gesehen und gehört hat. Es ist niemand um ihn, dem er diktieren könnte. Kein bei seinen Recherchen entdecktes Dokument kann er – außer durch das Abschreiben – kopieren. Ein Fotoapparat steht ihm nicht zur Verfügung. Solche Apparate sind zwar erfunden, aber nur durch Spezialisten zu bedienen und für den Einsatz auf Reisen noch völlig ungeeignet.
Fontanes Geburtshaus
Hans-dieter Rutsch stellt beim Besuch des Geburtshauses von Fontane eine bis heute unbeantwortete Frage. Er schreibt auf Seite 35: So präsent das bronzene Denkmal für Theodor Fontane den ehemaligen Wall von Neuruppin überragt – in der selbsternannten „Fontanestadt“ sind Spuren des Dichters so einfach nicht auszumachen. Am „Fontanehaus“ in der heutigen Karl-Marx-Straße mit der Hausnummer 84, dem authentischen Ort der Geburt des Dichters, ist selbst der aufmerksame Tourist schneller vorbeigelaufen, als er ahnt.
Die „Löwen-Apotheke“ der Fontanes zu entdecken verlangt mehr als nur Umsicht: Man muss das Haus erst einmal finden. Dabei steht es mitten in der Stadt und ist aus der Sicht der Neuruppiner nicht zu übersehen. Die Neuruppiner wundern sich kopfschüttelnd darüber, wie man als Tourist daran vorbeilaufen könne.
Dabei ist es eigentlich ganz einfach. Vom Denkmal aus der Hauptstraße Richtung Zentrum folgen unde nicht erwarten, von Hinweisschildern gelotst zu werden. … Sollen wir Fontane in der Fontanestadt Neuruppin übersehen?
Fontane – Museum ?
Und wie viele vor ihm stellt Hans-Dieter Rutsch auf Seite 45 auch die Frage: „Warum wurde hier kein Museum eingerichtet? „Deutschland würde die Dokumentation dieses ungewöhnlichen Dichterlebens am authentischen Ort seines Beginns gut zu Gesicht stehen. Seit über einhundert Jahren sammeln Germanisten akribisch die Puzzleteile dieser literarischen Existenz. Vor dem Geburtshaus Fontanes stehend, bleiben wir ohne Ahnung davon. Es fehlt buchstäblich jeder Hinweis darauf. Vielleicht ist der Grund simpel: Niemand wagt bis jetzt, den einst geschaffenen Mythos Fontane vom ach so nett dreinblickenden Mann zu berühren. …
S. 49: Auch der zweihundertste Geburtstag wird vergehen, ohne dass sich daran etwas ändert. Die Fassade des Fontanehauses in Neuruppin bleibt weiter undurchsichtig.
Fontane und Potsdam (S. 277)
Wie ist es mit der Abneigung Fontanes zu Potsdam bestellt ? „Eigentlich mag er Potsdam nicht. Aber das ist eine lange Geschichte. Sie hat ein wenig mit seinem Verhältnis zu Theodor Storm zu tun. Der hat sich hier als Beamter versucht und es nicht lange ausgehalten. Diese Stadt quillt über von Militär. Ist sie nicht nur eine riesige Kaserne? Vor dem Potsdamer Marstall sieht er aus dem Waggon für einen Augenblick die exerzierenden Soldaten. Und dann dieses Stadtschloss! Eine Herberge für Beamte. Dann liegt Potsdam hinter ihm. Hätte er nicht doch an der Station „Park Sanssouci“ aussteigen sollen? Der Aufstieg zum Schloss hat es ihm angetan.
Der Blick auf die Friedenskirche auch. Diese italienische Enklave. Diese Abgeschiedenheit, die sie bietet. Er beschließt, sich dort einmal einzuquartieren. Aber nun ist es zu spät für diesen unvergleichlichen Park. Jedenfalls für heute. Was wäre, wenn er noch weiter bis Burg fährt und dort am Bahnhof nachlöst? Oder schon vorher aussteigt und bis Burg läuft?
Er sitzt allein im Abteil. So mag er das Reisen. Niemand, der ihn anspricht, keine Flüsternden Paare, keine sich streitenden Familien. Er hat Zeit für sich, kann nachdenken. Könnte auch lesen.“
Die Wanderung des Nachlasses
Auch für sein Nachleben und den Lebensunterhalt seiner Familie sorgte Theodor Fontane indirekt vor: Er führte seinen Sohn Friedrich als Verleger in den deutschen Literaturbetrieb ein. Als jüngstes Kind der Fontanes fiel Friedrich die Rolle zu, nach und nach die Herausgabe der gesammelten Werke seines Vaters anzustreben. Der Sohn ließ die Verlagsfirma F. Fontane & Co. zum 1. Oktober 1888 in das Handelsregister eintragen und seinen Namen als Geschäftsführer hinzufügen. In den Jahren zuvor ließ ihn der Vater eine Ausbildung zum Buchhändler bei Gustav Langenscheidt absolvieren.
Das Schicksal der Tagebücher
Neuruppin verpasste die Gelegenheit, mehr als nur ein touristischer Ort für die Fontane-Liebhaber zu werden. Die Stadtväter haben die Chance, die sich mit einem Erwerb des Fontane-Nachlasses bot, nicht ergriffen. Der damalige Schätzwert von einhundertzwanzigtausend Reichsmark war eine stattliche Summe, aber keine, die man nicht hätte aufbringen können. Was fehlte, waren der nötige Weitblick und das Erkennen des Potenzials.
Fontane-Gesellschaft in Neuruppin
Die im Jahr 1990 in Potsdam gegründete Fontane-Gesellschaft wählte zwar Neuruppin als Sitz für ihre Geschäftsstelle, vergibt inzwischen auch einen „Fontane-Preis der Stadt Neuruppin“, aber ein internationaler Fontane-Ort ist Neuruppin durch den unterlassenen Erwerb des Nachlasses nicht geworden. Den Neuruppinern gelang zwar, den Titel „Fontanestadt“ zu erwirken. Ein literarisch gewichtiger Ort ist Neuruppin aber noch nicht.
Wer ist eigentlich dieser Fontane ?
Die Spurensuche zu Fontane hält an, ab Seite 327 schreibt Hans-Dieter Rutsch:“Theodor Fontane „überlebte“ das Chaos der ersten Nachkriegsjahre. Nahezu geräuschlos wurde sein literarisches Werk „entnazifiziert“. Aber zu mehr reichte es in der damaligen Zeit nicht. Wer eigentlich verbarg sich hinter dem Namen Theodor Fontane? Eine groß angelegte Suche danach begann in beiden deutschen Staaten. Nach 1989 entwickelte sich das Fontane-Archiv in Potsdam zu einem Ort, der diese Suche bis heute fördert und koordiniert. Abgeschlossen ist sie noch immer nicht. Fasziniert von den Welten, die der gebürtige Neuruppiner literarisch erwanderte, folgen ihm Jahr für Jahr neue Leser auf allen Kontinenten und fahnden nach jenem Mann, der Theodor Fontane war. Die Zahl der entstehenden Diplomarbeiten und Dissertationen ist inzwischen vollkommen unüberschaubar. Es ist, als ob wir noch immer am Anfang einer langen Wanderung stehen….
Zusammengefasst: Dieses Buch entdeckt einen hellsichtigen, in seiner Zeit neuartigen Dichter, der rastlos das frühmoderne Deutschland beschrieb und darin auch unsere Gegenwart, der sich schon damals nach Entschleunigung, Schlichtheit sehnte – einen doppelten Fontane, der unser Zeitgenosse ist.
Hans-Dieter Rutsch, Der Wanderer. Das Leben des Theodor Fontane. Rowohlt-Berlin Verlag GmbH, 1. Auflage 2018. ISBN 978 3 7371 0026 7. www.rowohlt.de
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