von Hannes Sturm
Die „Knajpka“ war eine kulturelle Institution und Stettin ist nun um eine touristische Attraktion ärmer. Gastwirt im besten Sinne des Wortes war Bolesław Sobolewski knapp 25 Jahre im „Na Kuńcu Korytarza“ (Am Ende des Korridors). Der Name hatte eine doppelte Bedeutung: Im Jahrhunderte Jahre alten Gewölbe kam man zum eigentlichen Gastraum mit einer alten Kommode als Theke durch einen langen Gang, dessen Nischen mit Tischen, gemütlichen Bänken und Stühlen zum Verweilen einluden.
Außerdem waren der Direktor der Stettiner Oper im Schloss, Warciław Kunc, mit seinem Team 16 Jahre lang Stammgäste bei Bolek im Mittelflügel des Schlosses der Pommerschen Herzöge. Auch viele Politiker und andere Promis kehrten gern bei ihm ein und fühlten sich wohl. Musiker aus aller Welt wurden besonders herzlich bewirtet.
Alle sichtbaren Wandbereiche und der große Spiegel im Gastraum füllten sich im Laufe der Jahre mit Autogrammen von Musikern, Schauspielern und anderen berühmten Personen des öffentlichen Lebens, die sich in vielen Sprachen damit für die Gastfreundschaft und das vorzügliche Essen bedankten. Kurze Sprüche u.v.a. von Sinéad O´Connor, Maryla Rodowicz, dem Jazz-Pianisten und Komponisten Leszek Moźdźer, dem Schauspieler Daniel Olbrzychski, Armand Loewe, dem Ur-Ur-Enkel vom Stettiner Carl Loewe. Loewe war 46 Jahre lang Domorganist, Komponist, Stadtrat und Konzertpianist in Stettin. Die Autogramme und Wandinschriften sind Stettiner Kulturgeschichte und finden nun keine Bewunderer mehr. Die schönen Gemälde mit dem Thema der 1620 in Stettin hingerichteten Sidonia von Borcke hat Bolek mittlerweile verkauft. Neben den langen Reihen der Opernplakate im langen Korridor gaben sie dem Gastraum ein ganz besonderes Flair. In allen tiefen Fensternischen des alten Gemäuers lagen Bücher und kleine Stofflämmer, die Gäste im Laufe der Zeit mitbrachten. Auch dadurch entstand eine einmalige Gemütlichkeit, die durch die entgegenkommende Art und Herzlichkeit des Gastgebers noch verstärkt wurde.
Bolek Sobolewski hat viele Talente. In jungen Jahren war er Schlagzeuger in einer bekannten Stettiner Band, ging aber dann in die Gastronomie. Schon seit seiner Kindheit war er Hobby-Koch und hat als Restaurant-Chef viele Gerichte selbst kreiert.
Er ist Mitbegründer des Europäischen Herings-Clubs und „Herings-Botschafter“. Für seine Herings-Starter in vielerlei Variationen wurde er einige Male ausgezeichnet.
Seine beiden in polnischer und deutscher Sprache erschienenen Bücher: „In der Küche der Greifen“ mit Geschichten und Rezepten aus Pommern signierte er für die Käufer mit lustigen Karikaturen und kleinen persönlichen Sprüchen. Im Gegensatz zu unseren regionalen Gaststätten konnte „Schlossherr“ Bolek seine Gäste souverän in mehreren Sprachen begrüßen, betreuen und bewirten. Er kam an die Tische, hat mit seinen Gästen gescherzt, von der Geschichte der Region erzählt und alltägliche Sorgen mit ihnen diskutiert.
Junge Musikstudenten ließ er kostenlos in den beiden separaten Nebenräumen üben. Entgelt war manchmal ein kleines Konzert im Gastraum. Auch wenn mal wenig Zeit war, habe ich mit den Gästen meiner Stettin-Besuche fast immer bei Bolek vorbeigeschaut, schon um sie zu weiteren Besuchen zu ermuntern.
Ab dem 1. September ist die kultige Gaststätte geschlossen. Acht Mitarbeiter müssen sich woanders Arbeit suchen, weil die gestiegenen Kosten für Heizung, Lebensmittel, Miete und Personal einen rentablen Betrieb nicht mehr zulassen. Zahlreiche Stammgäste kamen zum Abschied und bedankten sich bei Bolek für viele schöne Stunden in seiner Knajpka, dem Kneipchen, wie er es liebevoll nannte. Stettin bleibt trotzdem ein lohnendes touristisches Ziel.
Die Philharmonie bietet zu deutlich günstigeren Preisen als bei uns ein breites Spektrum verschiedener Musikveranstaltungen für Publikum jeden Alters an. Viele Stadtfeste, wie der Jakobimarkt, die Tage des Meeres, das alle vier Jahre in Stettin stattfindende Finale der Tallship Race, das Oktoberfest ohne bayerisches Tschingbum, wo nur Privatbrauereien ihre Biere feilbieten, der Ostermarkt, die schönen Flaniermeilen beiderseits der Westoder laden neben Einkaufsmöglichkeiten und vielen niveauvollen Gaststätten der Altstadt zu Stettin-Besuchen ein.
Text und Fotos: H. Sturm, www.kultoursturm.de
Konrad Guldon, Direktor des Polnischen Fremdenverkehrsamtes in Berlin, und gebürtiger Stettiner, freut sich, wenn Gastwirt Bolek ab und an im „Plenty“ am Alten Markt, dem Restaurant der Tochter von Bolek Sobolewski, seine berühmten Heringsrezepte zelebrieren wird.
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