In den Wintern um 1900 hätten viele Berliner ohne die Veltener Kachelöfen in ihren Wohnungen gefroren. Um diese Zeit war die „Ofenstadt“ das Zentrum der deutschen Ofen- und Keramikindustrie. Heute werden die Wohnungen und Häuser meist modern beheizt. Und heute gehören die Kachelöfen bereits zum Kulturerbe unseres Landes. Um das zu bewahren und zu dokumentieren hat sich das Ofen- und Keramikmuseum in der 1872 gegründeten und inzwischen stillgelegten Ofenfabrik August Schmidt/Lehmann & Co. zum ältesten Spezialmuseum für die Kulturgeschichte des Heizens entwickelt. Es wurde über die Jahre zum heute bedeutendsten und größten seiner Art in Deutschland gestaltet.
Wie Velten ein Ofenkachelmuseum bekam
Den Grundstein dafür haben 1905 der Veltener Gemeindevorsteher Aurel Zieger und der Kantor Gustav Gericke gelegt. Sie dokumentierten unter dem Dach einer Knabenschule in der Victoriastraße mit Kacheln, Musterbüchern, Ofenmodellen und ihrem Schmuck, Zeitschriften und Fachliteratur, wie sich ab 1853 in Velten mit seinen Tonvorkommen eine prosperierende Industrie entwickelte. 1903 produzierten in Velten 43 Ofenfabriken und keramische Werkstätten mit 162 Schornsteinen etwa 100 000 Kachelöfen pro Jahr. Sie lieferten ihre Produkte vielfach mit Pferdewagen-Korsos vorwiegend nach Berlin.
Zwischenstation Berlin
Nach dem Zweiten Weltkrieg wechselte das Museum mehrfach den Standort und musste 1970 wegen Baufälligkeit des genutzten Gebäudes die Sammlung nach Berlin verkaufen. Bis Anfang der 90iger Jahre lag das Material in Kisten verpackt im Keller des Museums für Deutsche Geschichte. 1992 wurde die Sammlung im Deutschen Historischen Museum (DHM) unter dem Titel „Märkische Tonkunst“ den Besuchern aus aller Welt gezeigt.
Ich habe dich so lieb!
Ich würde dir ohne Bedenken eine Kachel aus meinem Ofen schenken.
(Joachim Ringelnatz, 1883 -1934)
Ab 1994 wieder in Velten
Ein Förderverein Ofen- und Keramikmuseum e.V., dem aktuell etwa 200 Mitglieder angehören, gründete sich 1994 in Velten. Es gelang mit Hilfe von Monika Dittmar die Sammlung als Schenkung des DHM wieder nach Velten zu holen. Am 6. Juli 1994 konnte das Museum in der oberen Etage der damals noch produzierenden Ofenfabrik A. Schmidt/Lehmann & Co. in der Wilhelmstraße 32 wieder eröffnet werden.
Die inzwischen still gelegte Ofenfabrik konnte vom Museumsverein mit Unterstützung der Landesregierung in Höhe von 1,4 Mio. Euro 2018 als Denkmal erworben werden. Es ist geplant, die denkmalgeschützten Maschinen als musealen Standort zu reaktivieren. Die reichhaltige Museums-Sammlung wird nach der Sanierung weiterer Etagen neu präsentiert.
Gegenwärtig kann der Besucher auf etwa 840 Quadratmetern eine umfangreiche Ofensammlung vom 16. bis zum 20. Jahrhundert aus Deutschland, der Schweiz und Österreich bewundern. Über 4000 Kacheln, Ofenteile, Ofenmodelle und –schmuck dokumentieren die Geschichte des Kachelofens und verwandter Modelle auch aus Gusseisen oder als Kochmaschine.
Beim Rundgang durch das Museum kann man zum Beispiel einen fünfeckigen Simsofen von 1900 aus Meißner Ton bewundern. Markant steht der Schweizer Ofen der Hafnerei Keiser (1911) am Ende der Sammlung. Er entstand nach einem Steckborner Ofen von 1749. Wer sich die Zeit nimmt, kann bemalte Kacheln mit Ruinenlandschaften, militärischen Szenen, Blumenbouquets, Jägern und vornehmen Herrschaften bewundern.
Berühmtheit haben auch die Nürnberger Kachelöfen erlangt. Im Museum steht die Nachbildung eines Originals von 1530 mit Darstellungen aus der biblischen Geschichte und von Helden des Alten Testaments.
In einer Vitrine werden Figuren aus der Sarotti-Werbung um 1918 präsentiert, gebrannt in der Ofenfabrik Richard Blumenfeld. Aus der gleichen Fabrik stammen auch um 1924 produzierte Kaminfiguren.
Zum 150. Geburtstag Blumenfelds, der auch eindrucksvolle Masken produzieren ließ, gab es im Mai 2013 einen Familientreff im Ofenmuseum. In einer Sonderausstellung zu deren Eröffnung Kinder und Enkel von Richard Blumenfeld aus England und Californien gekommen waren, wurden Musterbücher, Briefe und Fotos aus der Familiengeschichte präsentiert, die einen Eindruck in das großartige Wirken des jüdischen Unternehmers gewährten. Er beschäftigte einst 500 Arbeiter und Angestellte in Velten. 1933 wurde Richard Blumenfeld von Aktionären aus seinem Unternehmen gedrängt. Die heutige Museumsleiterin Nicole Seydewitz entdeckte in Berlin Reliefs und Medaillons der Blumenfeldschen Firma, die schon in Vergessenheit geraten waren.
Schlagzeilen machte auch der benachbarte Ort Leegebruch in der bewegten Geschichte des Ofenmuseums. Im April 2014 eröffnete Nicole Seydewitz in Anwesenheit der Veltener Bürgermeisterin Ines Hübner und des Leegebrucher Geschichtsvereins-Vorsitzenden Norbert Rohde eine Hauszeichen-Sonderausstellung. Diese in Deutschland in dieser Form und Menge einmaligen Hauszeichen in der damaligen Heinkel-Siedlung zeigen Tiere und Tierkreiszeichen, Porträts, Handwerksgeräte und Pflanzen, aber auch maritime Motive. 73 unterschiedliche Motive konnte der Geschichtsverein in der Sonderschau auch in seinem Heft „Historische Blätter“ präsentieren. Es soll etwa 800 dieser Ton-Kunstwerke in Leegebruch gegeben haben. Hilde Broer, Christa von Lewinski und Gretel Schulte-Hostedde, Meisterschülerinnen von Prof. Ludwig Gies an der Berliner Kunsthochschule hatten sie gestaltet. Gefertigt und gebrannt wurden die aus Niederahrer Ton gefertigten Medaillons mit etwa 30 Zentimetern Durchmesser in der Marwitzer Werkstatt von Hedwig Bollhagen.
Nach solchem Diskurs in die Leegebrucher Geschichte können wir auch noch das benachbarte Hedwig-Bollhagen-Museum zur Besichtigung empfehlen.
Bereits im Aufbau und in Zukunft attraktiver geplant ist ein Schornsteinfegermuseum in der Ofen-Denkmalfabrik.
Besuch im Bollhagenmuseum nebenan
Das Goethe-Institut kürte die Keramikerin Hedwig Bollhagen 2006 unter die 10 besten deutschen Designer. Ihre zeitlosen Gebrauchskeramiken, viele davon Form-Klassiker, signierte sie mit einem schlichten wie markanten HB. Die Ausstellungsszenographie entwickelt sich auf ca. 300 qm anhand ihres frühen Dekors „Fadenkaro“ in feinen Linien und konzentrischen Kreisen. Die Ausstellungsarchitektur: zunächst eher atmosphärisch verdichtet, öffnen acht Dachflächenfenster einen lichtdurchfluteten, modernen Raum mit fast raumhohen Tageslichtvitrinen – eine Besonderheit in der deutschen Museumslandschaft.
In dem Hedwig Bollhagen Museum können Sie die künstlerische Entwicklungsgeschichte HBs nachempfinden und besondere Einzelstücke aus Ihrem Atelier entdecken. Lassen Sie sich von der außergewöhnlichen Lebensgeschichte mitreißen und erfahren Sie, wie viel Geschick es braucht, um Gebrauchskeramik zu bemalen!
Hier die Homepage des Bollhagenmuseums
alle Fotos: Hajo Eckert
Der Beitrag erschien zuerst im Leegebruch-Journal.
Hier geht es zur Webseite des Museums
Hier lest ihr mehr zur Geschichte der Brandenburger Ziegelindustrie.
In Velten stellt die Firma BOS Keramik Ofenkacheln her, hier deren Webseite.
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