Seuchen sind unberechenbar. Und das gilt für jeden auch nur denkbaren Aspekt. Sie kündigen sich nicht an, aber verbreiten sich rasend schnell. Dass sie selbst hochmoderne, industrialisierte Gesellschaften weltweit (!) in größte Gefahr bringen könnten – wer hätte das in unserer Zeit noch gedacht, für möglich gehalten? Corona erschreckt umso mehr. So etwas hat es in „unseren Breiten“ seit ungezählten Jahrzehnten nicht gegeben.
Da waren einmal Pest und Lepra, auch noch Tuberkulose – und „jüngst“, wenn man so will, die Spanische Grippe. . .
Aber selbst letztere liegt zwei Weltkriege zurück und somit in einer Ferne, die uns – ja: spanisch vorkommt und deshalb die Erwähnung auch vorwiegend den Geschichtsbüchern und Lexika vorbehalten ist. Diese Grippeform übrigens wütete geradezu verheerend zum Ende des Ersten Weltkrieges, zwischen 1918 und 1920. Sie hatte, so die heutige Wissenschaft, ihren Ursprung in den USA und wurde seinerzeit durch die aufkommende größere, auch kriegsbedingte Mobilität der Menschheit begünstigt. Diese Pandemie wütete in zwei Wellen und forderte mindestens 25 Millionen Tote. Einige Quellen nennen sogar knapp 50 Millionen Todesopfer. Bei einer damaligen Weltbevölkerung von 1,8 Milliarden Menschen und geschätzten 500 Millionen Infizierten entspricht das einer Todesrate von fünf bis zehn Prozent. Ihr fielen vor allem 20- bis 40Jährige zum Opfer, und dieses Rätsel ist bis heute nicht gelöst, denn: Influenzaviren bedrohen in der Regel ältere Menschen und Kinder.
Die US-Armee verlor durch diese Pandemie in Europa etwa so viele Soldaten wie durch die Kampfhandlungen während des Ersten Weltkrieges. In Italien gab es in den Regionen Latium, Kalabrien und Emilia besonders hohe Mortalitätsraten. Das Deutsche Reich hatte etwa 300 000 Menschen zu beklagen. Diese und andere noch zu nennende Zahlen gewinnen Bedeutung insofern, als sie sehr aufschlussreich sind, betrachtet man die sich ja noch dauernd ändernden Ziffern der gegenwärtigen Coronakrise. Der Name „Spanische Grippe“ übrigens basiert auf dem Umstand, dass Spanien im Ersten Weltkrieg neutral war und dort die Berichte über das Ausmaß der Krankheit nicht zensiert wurden. Außerdem erkrankte der damalige spanische König Alfons XIII. Das wurde durch die Nachrichtenagentur Reuters bekannt.
Weitaus gravierender für Europa waren im Mittelalter die Geschehnisse um den „Schwarzen Tod“ – die Pest. Die Menschen bekamen plötzlich Fieber und merkwürdige Beulen am ganzen Körper – und starben in Massen. In den ersten fünf Jahren kam etwa ein Drittel aller Europäer ums Leben.
Die moderne Forschung geht von folgenden Szenarien aus:
Um 1331 fand der Erreger Yarsina pestis in der Mongolei seine ersten Opfer. Dieser Floh „nistete“ in Ratten, und er und die Ratten breiteten sich über die Handelswege schnell aus, auch über die chinesische Seidenstraße und die Schifffahrtswege. Schon 1345 wurden die ersten Pesttoten am Kaspischen Meer und auf der Krim verzeichnet. Ein Jahr später belagerten die Tataren, selbst schon von der Pest dezimiert, die ukrainische Hafenstadt Kaffa (Feodossija). Ihre Pesttoten schleuderten die Tataren mit Katapulten in die Stadt – und von da an verbreitete sich der Virus über die Seehandelswege nach Messina, Genua und Venedig. Vom Mittelmeer setzte der „Schwarze Tod“ seinen Siegeszug nach Südfrankreich und über die Alpen fort – abgesehen davon, dass er inzwischen auch in Griechenland, Spanien und Nordafrika wütete. Letztlich blieb kein Land, keine Region verschont.
Nach Deutschland kam die Pest 1349. Besonders zu leiden hatten Bremen, Hamburg und Köln. Bis zu 25 Millionen Menschen starben in ganz Europa. Dessen gesellschaftliche und soziale Strukturen wurden revolutionär verändert. Angst und Panik dominierten, ganze Landstriche verwaisten. In der Regel wurden die Toten in Massengräbern außerhalb der Städte und Dörfer verscharrt. Die Ärzte damals standen der Pest absolut hilflos gegenüber. Vielfach „quacksalberten“ sie wild drauflos: Sie experimentierten mit Kräutern und Blüten, öffneten die Pestbeulen und gaben damit dem Eiter freien Lauf. Sie badeten Kranke und Gesunde in Essig und förderten damit nur die weitere Verbreitung. Schwefel und Parfum wurden gemixt und die Menschen zum Einatmen dieser Substanzen gezwungen.
Eine der ältesten Seuchen war die Lepra, auch „Aussatz“ oder noch populärer „Krätze“ genannt. Sie existierte schon, so die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse, in der Ur-Zeit der Menschheit. Nach Europa kam sie das Leben einschneidend verändernd im 13. Jahrhundert, eingeschleppt von den Rittern, wenn die von Kreuzzügen zurück kamen. Hervorstechendstes Merkmal waren Knoten vor allem im Gesicht und unregelmäßige Hautflecken am ganzen Körper – die dermaßen Erkrankten mussten sich vor allem in den Städten mit schwarzen Tüchern umhüllen. Nicht selten auch wurden sie auf einsamen Inseln ausgesetzt und dort ihrem Schicksal überlassen. Diese und noch andere Seuchen – wie auch Tuberkulose – gelten zumindest in Europa seit langem als besiegt. Umso überraschender ist das plötzliche Auftauchen des Coronavirus und seine so rasant um sich greifende tödliche Wirkung – und das weltweit! Weder Wissenschaft noch Politik waren darauf vorbereitet. Noch weitaus gravierender als die Erkrankung selbst dürften ihre Folgen sein – das Politikerwort „Nichts wird am Ende wieder so sein wie alles einmal war“ deutet Schreckliches an. Millionen Arbeitslose etwa, Tausende Firmenpleiten, wegen Geschäftsschließungen noch mehr als durch die Interneteinkäufe ohnehin schon verwaiste Ladenstraßen und Innenstädte.
Seuchen sind eben doch nicht nur Vergangenheit. Das Wort übrigens hat seinen Ursprung im mittelhochdeutschen „suche, siech“ – Siechtum, Dahinsiechen. Es wird , weil es so grässlich-mittelalterlich klingt, nicht mehr gern verwendet sondern durch „Infektion“ ersetzt.
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