2019 ist die Höhlenstadt Matera in der Basilikata im südlichen Italien als Europäische Kulturhauptstadt in aller Munde. Vom Flughafen Bari in gut eineinhalb Stunden mit dem Taxi zu erreichen, bietet Matera ein abwechslungsreiches Programm, das ein umfangreiches Organisationsbüro mit finanzieller und logistischer Unterstützung der Europäischen Union auf den Weg gebracht hat. Von Matera bis nach Cosenza sind es noch einmal gut 2,5 Stunden. Man sollte dort einige Zeit bleiben. Es lohnt.
einfachraus.eu war dort …
Geheimtipp Cosenza
In unseren Augen hätte es auch Consenza, die Hauptstadt und kulturelle Metropole der gleichnamigen Provinz in der Region Kalabrien (Calabrien), verdient, in den Genuss der Auszeichnung als Europäische Kulturhauptstadt zu kommen. Vielleicht ist der Weg, den Consenza eingeschlagen hat, aber der bessere.
Cosenza will nachhaltigen Tourismus
Nicht Mittelpunkt und Aufmerksamkeit temporär für ein Jahr erheischen, sondern einen nachhaltigen, sanften Tourismus entwickeln, der bodenständig ist und gemeinsam mit den Bürgern der Stadt umgesetzt wird. Die Kommunalverwaltung von Consenza, allen voran ihr Bürgermeister Mario Occhiuto, sucht nach neuen Wegen, wie der Tourismus als wesentlicher Wirtschaftszweig seiner Stadt und ihren Bürgern längerfristig Gutes bringen kann.
Für das 2. Tourismusforum vom 22./23. Januar 2019 hatte er sich u.a. Fachleute aus dem Tourismus-, Marketing-und Kommunikationsbereich eingeladen. Sie stellten vor allem touristische Strategien vor, die dabei helfen sollen, die Visionen des Bürgermeisters für eine offene und lebendige Stadt – sowohl für die Einheimischen und für ihre Gästen – umzusetzen. Ebenso beachtenswert: Neben den landschaftlichen, vielfältigen historischen und kulturellen Schönheiten bietet Consenza auch eine abwechslungsreiche, natürliche, schmackhafte lokale Küche.
Hielt vielbeachteten Vortrag: Journalistin Carmen Mancarella
Kloster als Haus der Kulturen
Wo fand das Tourismusforum statt? Im restaurierten, 1809 aufgehobenen ehemaligen Klosterkomplex San Domino, das heute als Kultureinrichtung genutzt wird. Der Vorplatz ist noch eine Baustelle, im Klosterinneren ist an den beiden Konferenztagen, zu denen auswärtige und auch einheimische Gäste gekommen sind, Bewegung.
Ein zentraler Tourismus-Informationspunkt hilft den Gästen nicht nur an den beiden Konferenztagen gezielt kulturelle und sportliche Zentren anzulaufen. Von der Tourismusfrau Dr. Paola Morano entwickelte Sightseeingtouren können für Gruppen und Einzelpersonen hier oder online gebucht werden.
Engagiert für ihre Stadt: Tourismusexpertin Dr. Paolo Morano
Die äußerst engagierte Tourismusexpertin macht auf kulturelle Aktivitäten der Stadt aufmerksam, thematische Besichtigungstouren mit ihr (Architektur, Museen, Kunst, Gastronomie, Handwerk usw.) sind sehr informativ. So kommen wir mit ihr auch vom Tagungsort nach einer kurzen Straßenüberquerung zur einzigartigen openair Kulturmeile (Bilotti Open Air Museum) im Herzen von Cosenza. Hier kann man zu jeder Tageszeit spazieren gehen und Werke u. a. von Salvador Dali, Giorgio de Chirico, Pietro Consagra genießen.
Openair Kunstmeile mitten im Herzen von Consenza
In Matera sind die von Salvador Dali inspirierten Kunstwerke für ein Jahr zu sehen, in Consenza über das Jahr hinaus, als dauerhafte Attraktion. Überlegt Potsdam noch, wo es seine Kunstwerke des öffentlichen Raumes aufstellen soll, am liebsten auf den zentralen Friedhof, so rückt Consenza seine Kunstwerke in das Zentrum. In Matera ist ein Künstler mit seinen Werken präsent, in Consenza können Kunstinteressierte Werke vieler Künstler im Zentrum bei jedem Wetter, zu jeder Tages- und Nachtzeit genießen.
Und für Menschen mit Handicap führt ein vorgegebener Weg zu den einzelnen Kunstwerken. Die Kunstmeile beginnt am Kloster und führt vorbei an mehr als 20 Kunstwerken auf mehr als einem Kilometer zum nächsten großen öffentlichen Raum:
Museo Multimediale: Leonardo da Vinci
Gewöhnungsbedürftig oder einfach nur clever? Der Bürgermeister – Architekt von Hause her – lockt die Gäste am Piazza Bilotti im wahrsten Sinne in die Unterwelt Consenzas. Treppen und Fahrstuhl führen hinunter, wo kommen wir an? Bei McDonalds … – Wir können uns vorstellen, dass einige Gäste wieder umdrehen und an die frische Luft wollen. Davon können wir jedoch nur abraten, denn ihnen entgeht eine wunderbare Ausstellung im MuseoMultimediale Cittá di Cosenza.
Leonado da Vinci wird in diesem Jahr 500 Jahre alt. Als berühmtester Universalgelehrter ist er mit seinen Werken bis in die heutige Zeit bekannt. Zwischen seinem Geburtsort (1452) in Anchiano bei Vinci (Toskana) und seinem Sterbeort auf Schloss Clos Lucé im französischen Amoise (1519) zog es ihn zu Studien und Arbeitsaufenthalten u. a. nach Florenz, Mailand und Rom.
Anlass für die Stadt, eine moderne Ausstellung über das Allround-Genie auf den Weg zu bringen. Sie kommt ohne Vitrinen und lange Einführungstexte aus. Ein digitaler Rausch in der modernsten SENSORY4TM Ausstellungs-Technologie erwartet die Besucher.
Mit Musik, grafischer Aufbereitung historischer Dokumente, die Bezüge zur Gegenwart herstellen – alles entwickelt sich in der Natur und aus der Natur – das, was es zu bewahren gilt. Stationen aus dem Leben da Vincis werden zu Schauplätzen inszeniert: Florenz, Milano, Rom. Maler, Bildhauer, Architekt, Anatom, Mechaniker, Ingenieur und Naturphilosoph – ein wahres Feuerwerk von Arbeitsergebnissen und Emotionen, dargeboten in unterschiedlichen optischen Schablonen, als Kreis, der als Lupe fungiert, und das Auge auf Einzelheiten fokussiert, was in großen rechteckigen Formaten – hoch- oder quergestellt – im Großen zu sehen ist.
Alles wird musikalisch begleitet. Man muss die ca. einstündige Präsentation einfach mehrmals auf sich wirken lassen, denn fast alle Sinne werden angesprochen. Wir finden es wunderbar, dass die Stadt Cosenza in Zusammenarbeit mit dem Leonordo da Vinci Museum in Rom den großen Künstler mit dieser spektakulären Ausstellung ehrt. Bis zum 30. Juni 2019 ist die Ausstellung noch zu sehen.
Auch das ist eine Vision des Bürgermeisters. Man soll nicht zufällig nach Consenza kommen, sondern gezielt. Das könnte zum Beispiel eine weitere Ausstellung sein: Grafiken Rembrandts stehen vom 25. Januar bis 24. März 2019 im Mittelpunkt einer Ausstellung im Palazzo Arnone. … Aber weiter, schließlich sind wir nur drei Tage in Consenza, obwohl es noch so viel in diesem auch als „Klein Athen von Kalabrien“ bezeichneten Ort zu sehen gäbe.
Einzigartig: Die BocsArt
Auf dem Weg zurück zum Tagungsort fällt uns auf, dass kein einziges Kunstwerk der openair-Meile mit Graffiti beschmiert ist. Dafür viele Häuser in den Nebengasse. Wir wünschten uns, dass diese Grafiti-Künstler ebenfalls einen öffentlichen Platz für ihre Kunstwerke bekämen. Etwa in einem jährlich im Sommer stattfindenden Plenair, zu dem die Stadt Künstler für zwei Wochen einlädt.
Wohnen können die Gäste in zweietagigen „Bocsen“ – unten Atelier, oben Wohnraum –, die wie an einer Perlenkette aufgereiht am Flussufer der Crati liegen. Die in den Boxen entstandenen Kunstwerke werden dann der Öffentlichkeit präsentiert, kostenlos anzuschauen beispielsweise im Kultur-Kloster, oberhalb des Tagungsraums.
Blick in den Ausstellungsraum mit Exponaten der Bocs-Künstler
Die Grafiti-Künstler könnten ja zum Beispiel während ihres zweiwöchigen Aufenthalts in Cosenza einen der vielen Bauzäune in der Stadt verschönern und als Kunstwerke präsentieren. Oder einige der vielen leerstehenden und auf Renovierung wartenden Häuser mit Farben verschönern.
Luigia Granata – touristische Designerin
Wieder zurück am Tagungsort macht unsere Dolmetscherin Antonella uns auf Arbeiten der Künstlerin Luigia Granata aufmerksam. Die Künstlerin nutzt die Tagung, um in einem Workshop ihre Sicht auf ihre Stadt und Region darzustellen: Kleider und Schals mit traditionellen Farben und Formen sehen nicht nur schick aus, sondern machen Lust, zu einer späteren, wärmeren Jahreszeit wiederzukommen.
Das Feuerwerk ihrer Farben auf uns wirken zu lassen, macht heiter und froh, gerade, wenn es draußen regnet. Mich hat aber auch ein Sesselstuhl angezogen, den ich am liebsten mit nach Hause nehmen würde.
Eine tolle Idee der Künstlerin, ein farbiges Detail des Stadtpanoramas auf die Stuhllehne zu bringen. Aber wie diesen heil nach Haus bringen, im Flugzeug – ohne Auto? Wir entscheiden uns für eine farbige Zeichnung von Luigia Granata als Erinnerungen an einen wunderbaren Aufenthalt in Consenza.
Mehr Grün für Cosenza
Und schon sind wir bei einer nächsten Vision des Bürgermeisters: Er möchte mehr Grün in seine Stadt bringen. Sozusagen mehrere grüne Lungen mitten in der Stadt an verschiedenen Plätzen implantieren. Aus der Openair-Kunstmeile ist der Autoverkehr seit einigen Jahren entfernt, dennoch quillt er durch die historische Altstadt ununterbrochen. Ab und zu knallt es, dann hat wieder jemand dem anderen nicht die Vorfahrt überlassen wollen. Der öffentliche Nahverkehr wird wie in anderen Großstädten auch – von vielen noch nicht als gängiges Fortbewegungsmittel wahrgenommen. Dabei haben wir durchaus gute Erfahrungen gemacht. Ein überaus freundlicher Busfahrer hielt außerhalb der Bushaltestelle auf Zuwinken an, hat uns dankenswerter Weise einen längeren Fußmarsch hinunter in die Altstadt erspart.
Destination Cosenza
Auch das eine Vision des Bürgermeisters: alle Einwohner fühlen sich nicht nur als Gastgeber, sondern geben sich auch als solche auch zu erkennen: mit Freundlichkeit, mit Sauberkeit vor den Geschäften und in den (Neben-)Straßen, hier ist durchaus noch etwas zu tun. Aber Cosenza ist auf einem guten Weg. Die Bürger sind stolz auf ihre Stadt und lassen es uns mit sehr gutem Service und guter Laune in der Gastronomie und Hotellerie spüren.
Ebenso hier Infos zu den Museen, zu Gastronomie und Hotellerie, Shopping sowie zum Naturpark Sila.
Eingang zum Schloss hoch oben über Cosenza
Nützliche Informationen zu Consenza
Adresse: Comune di Cosenza
Piazza Die Bruzi, 87000 Cosenza (CS)
Tel. +39 0984 813111
www.comune.cosenza.it
Rosaria Succurro
zuständig für Tourismus und Marketing
turismo@comune.cosenza.it
www.consenzaturismo.com
Klosterkomplex von San Domenico (Haus der Kulturen)
Piazza Tommaso Campanella, 87000 Consenza CS
www.comuno.consenza.gov.it
Der ehemalige Klosterkomplex wurde von der Gemeinde Consenza gekauft und restauriert. Jetzt finden sich hier Büros der städtischen Kulturverwaltung, des Tourismus und des Kunstmuseums Bocs. Im Kapitelsaal finden Buchvorstellungen, Ausstellungen, Konferenzen und Kammermusikkonzerte sowie Kunsthandwerkspräsentationen statt.
Guida Turistica der Region Calbria
Dr. Paola Morano
Tel. +39 3206127574
paolamorano@libero.it
Luigia Granata
Designerin
Tel. +39 3401030071
luigiagranata@gmail.com
www.luigiagranata.it
Museo Multimediale Città di Cosenza
Parcheggio Piazza Bilotti (Eingang über McDonald’s)
www.museomultimedialecittadiconsenza.it
15. Januar bis 30. Juni 2019
Leonardo da Vinci – 500 years of genius
Öffnungszeiten: Mo – Fr 10 – 20 Uhr; Sa – So 10 – 23 Uhr
https://goo.gl/maps/yjY2eQKU2JD2
Anreise nach Cosenza
Mit dem Flugzeug
Direktflüge von deutschen Flughäfen bis Lamezia Terme, rund 70 Kilometer von Cosenza entfernt. Auch die Stadt Reggio Calabria verfügt über einen Flughafen, Umsteigen in Mailand oder Rom notwendig. Wir sind von Berlin bis Bari geflogen und dann über 4 Stunden mit dem Auto gefahren. Auf halber Strecke liegt Matera, die europäische Kulturhauptstadt 2019.
Bus: Cosenza wird von zahlreichen Fernbuslinien aus Rom und Neapel und auch Städten in Kalabrien angefahren. Ebenso Busse der Ferrovia della Calabria.
Auto: Nach der mautpflichtigen Autobahn A1 bei Salerno über die A3 durch Kampanien bis AS Cosenza Sud. Von Lamezia Terme und von Reggio di Calabria.
Öffentlicher Verkehr: Zwischen Cosenza F.S. / Cosenza Vaglio Lise verkehren Züge der Ferrovia della Calabria und Haltestellen 4 Cosenza Monaco, 5 Cosenza Campanella, 6 Cosenza Centro (Nähe Zentrum). AMACO und Touristenbus und Rolltreppen, um die höhergelegenen Quartiere zu erreichen.
Die Recherche in Cosenza wurde unterstützt von der Stadt Cosenza und Akteuren vor Ort (Hotel und Gastronomie), u.a.Hotel Royal, Hotel Tasso, B & B Le Sculture, B & B Erifrà. Vielen Dank an Carmen Mancarella.
Hier ein Beitrag zum benachbarten Sila Gebirge.
Cosenza und das Sila-Gebirge. Vor etwa 40 Jahren besuchte ich diese einzigartige Region.
Es ist nicht das Italien Roms, Florenz‘ oder Veronas. Es ist das „ursprüngliche“ noch, das der Reiseschriftsteller Norman Douglas in seinem Buch Reisen in Süditalien beschrieb. Auch heute noch lesenswert, wenn auch vieles sich seitdem verändert hat. Immer zum Besten? Die Natur ist geblieben. Die Gastronomie hat sich geändert. Ob man im Sila Grande nach Norman Douglas den Forstburschen in Lederbekleidung mit wildem Blick und ineinander verschlungenen Haarlocken, die ein höllisches Vergnügen daran haben, einen auf einen falschen Weg zu lenken, noch begegnen wird? Auf alle Fälle begegnet man Menschen, die ihre Heimat als ein Geschenk Gottes betrachten und sie weiterhin mit Hingabe pflegen und uns, den Touristen gern offenbaren.
Wer wissen will, wofür es sich zu leben lohnt, mache sich auf nach Kalabrien, dem unbekannten Italien, zu einer Sehnsuchtsregion.