Roswitha Schieb, Literarischer Reiseführer Niederschlesien. Deutsches Kulturforum östliches Europa 2025. ISBN 978-3-936168-93-8. www.kulturforum.info

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Roswitha Schieb Literarischer Reiseführer Niederschlesien, Verlag Deutsches Kulturforum östliches Europa

Wo wir in den letzten Wochen auch waren in Niederschlesien und im Oppelner Land: Spuren von Schriftstellern begegenen wir oftmals. Jetzt schärft Roswitha Schieb mit ihrem vom Deutschen Kulturforum östliches Europa herausgegebenen Literarischen Reiseführer Niederschlesien. ISBN 978-3-936168-93-8. www.kulturforum.info  den Blick auf diese Region in Polens Süden.

„Es gibt wohl kaum eine Region in Mitteleuropa, die seit dem Mittelalter bis heute eine so reiche Literaturtradition und ein so vielfältiges Literaturschaffen besitzt wie Niederschlesien. Auch wenn die Hauptstadt Breslau (Wrocław) über die Jahrhunderte unangefochten das kulturelle Zentrum darstellt (siehe Literarischer Reiseführer Breslau): Aus allen größeren und kleineren Städten, aus einigen Dörfern gar und verschiedenen Landschaften Niederschlesiens ertönt eine derartige Fülle literarischer Stimmen, dass es ein Ding der Unmöglichkeit ist, sie alle zu Gehör zu bringen. Dieses Buch stellt sich der Aufgabe, die aussagekräftigsten buntesten, bemerkenswertesten, deutlichsten und leuchtendsten Texte schlesischer Literatur-, Kunst- und Kulturschaffender sowie Reisender zu zitieren.“ – so führt die Autorin in den informativen und kenntnisreichen literarischen Reiseführer Niederschlesien ein.

Lobenswert: Ein umfangreichen Orts- und Personenregister sowie ein Literaturverzeichnis erleichtern einen schnellen Einstieg in die Lektüre und laden zur Vertiefung des faktenreichen Kompendiums ein. Eine Chronik zur Geschichte Niederschlesiens (S. 422 ff.) hilft das Gelesene einzuordnen. Dass Niederschlesien nicht nur ein Teppich arkadischer Gefilde, sondern auch eine reiche literarische Landschaft ist, legt Roswitha Schieb überzeugend dar: Im „Herzen Niederschlesien“ reist sie um den Berg Zobten (Ślęża) und die Stadt Breslau (Wrocław) herum auf der Suche nach den Ursprüngen der Region, in „Krieg und Frieden“ stellt sie Schauplätze religiöser und nationaler Kämpfe den Zeugnissen von Versöhnung und Verständigung gegenüber, und das Kapitel „Schlesische Mystik“ spürt Schwarmgeister und Exzentriker von Görlitz über Bober-Katzbach- und Isergebirge bis Agnetendorf (Jagniątków) auf.

Hänsle und Gretel Breslau/WroclawBreslau Polen Wroclaw

Hänsle und Gretel in Breslau/Wroclaw

Riesengebirge, Hirschberger Tal und nicht zuletzt Rübezahl stehen im Kapitel „Bergromantik“ im Zentrum, und Zerrissenheit durch sozial Widersprüche sowie Einheit in Gottesgewissheit im Waldenburger und Glatzer Bergland führt das Kapitel „Getuppeltes, Gedoppeltes“ vor Augen.

Und den zahlreichen Stimmen von Literaturschaffenden finden sich auch die von Gerhart Hauptmann und Olga Tokarczuk, die mit dem Nobelpreis gewürdigt wurden, sowie Andreas Gryphuius, Daisy von Pless, Ruth Hoffman, Arnold Zweig, Joanna Botor oder Filip Springer. 

In fünf Kapiteln stellt die Autorin Orte vor, in denen literarische Stationen Niederschlesiens zum Verweilen einladen. So im ersten Kapitel: „Ursprünge: Das Herz Niederschlesiens“, wo u.a. Brieg (Brzeg). einfachraus. war 2025 dort.

Niedserschlesien

Das prächtige Rathaus von Brzeg – Meisterwerk der Renaissance Foto: Weirauch

und Schweidnitz (Swidnica) vorgestellt werden.

Schweidnitz.Schlesien.Polen

Historische Altstadt von Schweidnitz mit der katholischen Pfarrkirche (Mitte) Foto: Weirauch

Weiter geht es im Kapitel „Krieg und Frieden: Locus Terribilis und Locus Amoenus“ u.a. mit den Orten Kreisau (Krzyżowa) und Bad Muskau.

Im dritten Kapitel „Schlesische Mystik“, wo u.a. in Görlitz (Zgorzelec) und Bad Flinsberg (Świeradów.Zdrój) literarische Spuren niederschlesischer Literaturgeschichte vorgestellt werden.

Kurpark Wandelhalle Bad Flinsberg Polen

Die Kuirhalle von Bad flinsberg Foto: Weirauch

Im vierten Kapitel „Bergromantik“ verfolgt die Autorin u.a. in Wernersdorf (Pakoszów) und Zillerthal-Erdmannsdorf (Mysłakowice) literarische Spuren Niederschlesiens.

Wernersdorf im Hirschberger Tal, am Fusse des Riesnegebirges. Foto: Weirauch

Und im fünften Kapitel „Das Getuppelte (Gedoppelte): Hungerland und Bäder, Burgen und Gotteswinkel stehen u.a. die Orte Waldenburg (Wałbrzych) und Schloss Fürstenstein (Zamek Książ) im Mittelpunkt der Spurensuche. Insgesamt werden 92 Orte mit ihren literarischen Spuren vorgestellt. 

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Imposant: Schloss und Parkanlagen von Fürstenstein gelten auch als „barocke Perle Schlesiens“ Foto: Weirauch

Die Nobelpreisträgerin Olga Tokarczuk, die siebzehn Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg geboren wurde, gibt nicht nur darüber Auskunft, dass sie als Kind der Meinung war, das Deutsch auf den Grabsteinen sei die Sprache der Toten. Sie spricht auch darüber, dass in den 1960er, 1970er Jahren die deutsche Atmosphäre noch deutlich zu spüren gewesen sei und dass jeder Ort, jeder Stein, jede Kellertreppe und jedes Kirchenschiff eine mehrstöckige Identität besessen habe, die im Flüsterton von der Vergangenheit kündete. Um Jahr 2001 schreibt Olga Tokarczuk über Niederschlesien: „Manchmal habe ich den Eindruck, wir lebten hier auf den Hinterlassenschaften einer uralten, weit zurückliegenden Zivilisation (…) unsere Vorgänger haben ihre Erinnerung mitgenommen, während wir in eine Welt ohne Erinnerung geworfen sind, die deshalb unverständlich ist, sich der Aneignung verweigert, nur aus Bruchstücken bestehend, die die neuen Bewohner aus vielen Gegenden mitgebracht haben. (Tokarczuk, Stalins Finger, S. 47 ff.) Die Sehnsucht nach eigenen Traditionen, so Olga Tokarczuk, brachte sogar die Erfindung einer Dorftracht in einem niederschlesischen Dorf mit sich, eine Mischung aus verschiedenen polnischen Trachten der Gebiete, aus denen die neuen Bewohner stammten und aus Elementen der deutschen Tracht: „Das Ergebnis war eine elektische Kleidung, eine synkretistische Tracht, eine Trachtenmetapher, ein Mutterkleid, das nicht mehr viel mit der Volkstracht zu tun hatte, eher so etwas wie eine kollektive Psychotherapie. Und genau das ist Niederschlesien. (ebd., S. 48 f.)

Unter den zahlreichen Stimmen von Literaten finden sich u.a. die von Gerhart Hauptmann und Olga Tokarczuk, die mit dem Nobelpreis gewürdigt wurden, sowie Andreas Gryphius, Daisy von Pless, Ruth Hoffmann, Arnold Zweig, Joanna Bator oder Filip Springer.

Fazit: ein sehr lesenswertes Buch. Mehr als ein Reiseführe r!!!

Roswitha Schieb, Literarischer Reiseführer Niederschlesien. Deutsches Kulturforum östliches Europa 2025. ISBN 978-3-936168-93-8. www.kulturforum.info

Schieb, Roswitha: Literarischer Reiseführer Niederschlesien. Fünf Partien durch das zehnfach interessante Land
Mit zahlr. farb. u. S.-W.-Abb., Zeittafel, ausführl. Registern u. mehrsprachigen Karten
ca. 476 S., Softcover, Preis: 22,00 Euro, ISBN 978-3-936168-93-8

Die Autorin
Roswitha Schieb 2020. Foto: privatRoswitha Schieb 2020. Foto: privat

Roswitha Schieb, geboren 1962, veröffentlichte neben zahlreichen Essays und Büchern zum Thema Theater kulturhistorische Publikationen über Schlesien, darunter Jeder zweite Berliner. Schlesische Spuren an der Spree beim Deutschen Kulturforum östliches Europa (2012) und Schlesien. Geschichte, Landschaft, Kultur (Elsengold Verlag, 2020). In ihrem Buch Reise nach Schlesien und Galizien. Eine Archäologie des Gefühls (Berlin Verlag, 2000) erkundet sie sowohl Orte und Landstriche ihrer aus Schlesien vertriebenen Eltern als auch das ehemals polnische Galizien, heute Ukraine – eine Region, aus der zahlreiche Polen nach 1945 vertrieben wurden, die sich dann insbesondere in Schlesien niederließen. Auch die Anthologie Zugezogen. Flucht und Vertreibung – Erinnerungen der zweiten Generation (Verlag Ferdinand Schöningh, 2016) beschäftigt sich mit diesem Thema. In ihrem Porträtband Risse. Dreißig deutsche Lebensläufe werden zahlreiche mit Schlesien verbundene Biografien lebendig, darunter die von Agnes Wabnitz, Clara Immerwahr, Fritz Haber, Anita Lasker-Wallfisch, Günther Anders, Herbert Hupka, Helga Schütz und Roger Loewig (Lukas Verlag, 2019). Ihre Erzählung Der Hof stellt das Schicksal einer aus Schlesien nach Westfalen vertriebenen Bäuerin ins Zentrum (Edition A. B. Fischer, 2020). 2021 wurde Roswitha Schieb mit dem Kulturpreis Schlesien des Landes Niedersachsen ausgezeichnet. Sie lebt in Borgsdorf bei Berlin.

Bücher und Projekte von Roswitha Schieb
die im Verlag oder in Kooperation mit dem Deutschen Kulturforum östliches Europa erschienen sind und einen Bezug zu Schlesien haben:

Roswitha Schieb: Literarischer Reiseführer Breslau
Sieben Stadtspaziergänge durch Raum und Zeit

Roswitha Schieb: Breslau/Wrocław
Ein kunstgeschichtlicher Rundgang durch die Stadt der hundert Brücken

Roswitha Schieb: Jeder zweite Berliner
Schlesische Spuren an der Spree

Breslau – Wrocław. Augenblicke einer Stadt – Miasto uchwycone w czasie
zweisprachiger Katalog zur gleichnamigen Ausstellung mit Fotos von Mathias Marx und Texten von Roswitha Schieb
(vergriffen)

Blog: Jeder-zweite-Berliner
Die Autorin Roswitha Schieb auf Spurensuche nach schlesischen Einflüssen in Berlin

Außerdem erschien im Verlag Deutschs Kulturforum östliches Europa:

Roswitha Schieb: Literarischer Reiseführer Böhmisches Bäderdreieck
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