Die Fachärztin für Innere Medizin aus Berlin-Kreuzberg schüttelt den Kopf: „Leopoldina? Bisher nie gehört“. Nicht anders geht es dem Oberstudienrat aus Bielefeld: „Ich dachte, so heißt vielleicht die Münchener Universität“. Das Wort hatte die Bundeskanzlerin eher beiläufig zu Beginn der Corona-Krise genannt, als sie befragt wurde, was gegen das tödliche Virus getan werden könne – sie würde erst die Stellungnahme der Leopoldina abwarten. Die fiel dann beinahe dürftig aus: Man brauche erst „alle Daten“, erwarte zudem Hinweise auf „die gesamtgesellschaftliche Lage“ und so fort. Da waren das Robert-Koch-Institut und die amerikanische Johns-Hopkins-Universität schon Meilenlängen vor aus, weshalb die Tageszeitung WELT auch geradezu hämisch kommentierte: „Im Grunde formulierten die Professoren der Leopoldina auf vielen Seiten immer wieder dasselbe . . . das ist banal . . die Professoren sind nicht im Besitz einer absoluten virologischen Weisheit . . .“
Wer verbirgt sich hinter der Leopoldina ?
Um die anfangs erwähnten Fragezeichen aufzulösen: Die Leopoldina ist seit dem 14. Juli 2008 Deutschlands Nationale Akademie der Wissenschaften mit Sitz in Halle/Saale. Sie steht unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten. Sie ist unabhängig und dem Gemeinwohl verpflichtet. Um Wikipedia zu zitieren: „Idee bei der Gründung einer Nationalakademie war die Schaffung einer legitimierten Institution, die unabhängig von wirtschaftlichen und politischen Interessen wichtige gesellschaftliche Zukunftsthemen wissenschaftlich bearbeitet, die Ergebnisse der Politik und der Öffentlichkeit vermittelt und diese Themen national wie international vertritt“. Finanziert wird die Leopoldina zu 80 Prozent vom Bund und zu 20 Prozent vom Land Sachsen-Anhalt.
Legt man zugrunde, dass diese Institution im Gegensatz zu anderen Nationalakademien – etwa der amerikanischen National Academy of Sciences“ – ,ein Dornröschendasein führte, kommt man zu dem Urteil, dass Vergangenheit oftmals goldener als Gegenwart einzustufen ist.
Die Historie: 1652 gründete der Schweinfurter Stadtphysikus J.L.Bausch zusammen mit drei anderen Ärzten „zur Förderung der Heilkunde und der Naturwissenschaften durch eigene Beobachtung und Experimente“ die „Akademie der Naturforscher“. Sie wurde 1687 durch Kaiser Leopold anerkannt und reichlich mit Rechten und Privilegien ausgestattet. Die Kaiser Karl VI. und Karl VII. bestätigten das 1712 bzw. 1742 und gaben der Einrichtung den Namen „Leopoldinisch-Carolinische Akademie“. Damals wechselte die Akademie ihren Sitz jeweils nach dem Wohnort ihres Präsidenten. 1779 wurde der Sitz endgültig nach Halle verlegt. Die bedeutendsten Naturforscher jener Zeit waren Mitglied, und im In- wie im Ausland genoss die Akademie ein hohes Ansehen.
Wissenschaftsakademie und Gelehrtengesellschaft
Eine Wissenschaftsakademie ist sowohl eine Gelehrtengesellschaft als auch eine Institution zur Erneuerung wissenschaftlicher Forschung. Eine Akademie unterscheidet sich von einer Universität dadurch, dass sie keine Lehre betreibt. In Deutschland gibt es acht größere Wissenschaftsakademien, etwa in Berlin, München, Heidelberg oder Göttingen. Sie sind in einer Union zusammengeschlossen.
Die Leopoldina ist die älteste dauerhaft existierende wissenschaftliche Akademie der Welt. Sie hat rund 1 600 Mitglieder. Sie ist in sieben Kommissionen gegliedert: Gesundheit, demografischer Wandel, Lebenswissenschaften, Klima/Energie/Umwelt, Wissenschaftsakzeptanz, Wissenschaftsethik und Zukunftsreport Wissenschaft.
Die Bibliothek der Leopoldina wurde 1731 in Nürnberg gegründet und umfasst 260 000 Bände, Monografien und Zeitschriften aus Naturwissenschaften und Medizin. Als eines der ältesten Akademie-Archive der Welt verwahrt sie Unterlagen aus mehr als 350 Jahren, die insgesamt eine Länge von 1,7 Kilometer ergeben. Darüber hinaus existieren etwa 50 Nachlässe von bedeutenden Wissenschaftlern sowie mehr als 10 000 Fotografien .
Seit 1997 gewährt die Leopoldina auch Stipendien. Vor allem an Wissenschaftler, die im Ausland tätig werden wollen. Dieses Programm gewährleistet einen bis zu dreijährigen Forschungsaufenthalt an einer Wissenschaftseinrichtung.
Kein Zweifel: Die Leopoldina ist eine äußerst bemerkenswerte Institution – nur zu unbekannt. Vielleicht auch zu bescheiden . . .
In der Nach-Corona-Ära wird es auch wieder Führungen durch das Leopoldina-Haupthaus und das Archiv geben. Gegen Eintritt.
Näheres ist dann unter www.leopoldina-org/veranstaltungen/führungen zu finden.
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