Von Jörg Berghoff

„Ein Ding ist bestimmt durch sein Wesen. Um es so zu gestalten, dass es richtig funktioniert – ein Gefäß, ein Stuhl, ein Haus – muss sein Wesen zuerst erforscht werden; denn es soll seinem Zweck vollendet dienen, das heißt, seine Funktion praktisch erfüllen, haltbar, billig und schön sein.“ Dieses Postulat von Walter Gropius, 1925 geäußert, erklärt noch heute kurz und knapp das Wesen des Bauhauses und des Funktionalismus der Moderne.

Die Direktorin der Stiftung Bauhaus Dessau Frau Dr. Barbara Steiner weist auf die vielfältigen Aufgaben zur Pflege und dem Erhalt des Bauhausgebäudes hin.

Die Direktorin der Stiftung Bauhaus Dessau Frau Dr. Barbara Steiner weist auf die vielfältigen Aufgaben zur Pflege und dem Erhalt des Bauhausgebäudes hin. Foto: Jörg Berghoff

Dreieck, Quadrat, Kreis: Ohne Design ist heute fast alles nichts. Ob Möbelkatalog, Reiseprospekt oder Turnschuh, pardon, Sneaker selbstverständlich, man kann sich nicht dem Eindruck entziehen, selbst die banalsten Gegenstände des Alltags brauchen Design und trendige Namen. Die fast schon inflationäre Verbreitung des Begriffs macht auch vor dem Tourismus nicht halt, warum auch. Man reist auf exklusiv „designten“ Routen, genießt kreative Menüfolgen im speziellen Restaurant-Ambiente und bettet sein müdes Haupt natürlich im Design-Bett samt Feininger-Druck auf dem Kopfkissen. Ein Leben ohne Design: Unvorstellbar. Doch woher kommt diese an sich brillante Idee, eine harmonische, ästhetische Einheit von Handwerk und Industrie, Kunst und Technik, Theorie und Praxis zu schaffen?

„Bauhaus“ heißt das Zauberwort und in der Mitte Deutschlands, in Thüringen und Sachsen-Anhalt liegen seine Wurzeln. In Weimar gründete Walter Gropius 1919 eine Schule, die weltweit zum Begriff für eine Revolution in der Kunst geworden ist. Kunst nicht als Selbstzweck, Technik nicht reduziert auf Funktionalität, sondern beides miteinander vereint, das war das Grundprinzip der Bauhaus-Künstler.

 Bauhaus in Dessau

Wie Modernität ohne Design nichts ist, so ist eine Reise zum Thema Bauhaus ohne Dessau unvorstellbar. Walter Gropius entwarf 1925 nach dem Wegzug des Bauhauses aus Weimar in Dessau die neue Hochschule für Gestaltung und setzte hier bis 1932 seine Arbeit fort. Auch heute ist sie lebendiger Ort experimenteller Arbeit, Forschung und Lehre. Die Meisterhäuser Klee/Kandinsky, Muche/Schlemmer sowie das Feininger-Haus vereinen die damaligen Vorstellungen von Wohnen und Arbeiten ideal und sind ebenso beliebte Besichtigungsziele wie das ganz im Bauhaus-Stil gehaltene Restaurant Kornhaus direkt an der Elbe. Im Jahre 2019 wurde das imposante Bauhaus Museum Dessau im Stadtzentrum eröffnet. Es steht für die einmalige Möglichkeit, in die gesamte Bauhauskultur in all ihren Facetten einzutauchen.

Blick auf einen Teil des Bauhauses in Dessau, Foto: Weirauch

Blick auf einen Teil des Bauhauses in Dessau, Foto: Weirauch

Die Fassade des Bauhaus Museum in Dessau wird bestimmt von Glas und Transparenz.

Der Eingang zum Bauhausgebäude in Dessau ist ein beliebter Treffpunkt für Besucher und Studierende. Foto: Jörg Berghoff

Bauhaus weltweit

Das Bauhaus gilt als eine der wichtigsten kulturellen Errungenschaften des 20. Jahrhunderts. Die weltbekannte Schule für Gestaltung hat unser Verständnis für Funktionalität und

Gestaltung nachhaltig geprägt. Internationale Architektur ist heute ohne das Bauhaus kaum vorstellbar. Man denke etwa an die Weiße Stadt von Tel Aviv oder die Van-Nelle-Fabrik in Rotterdam, die ebenso wie das Bauhausgebäude, die Meisterhaussiedlung und die Laubenganghäuser in Dessau-Roßlau zum UNESCO-Weltkulturerbe der Moderne gehören.

Mit dem Bauhaus sind die Namen herausragender Architekten, Künstler, Handwerker und Gestalter wie Walter Gropius, Oskar Schlemmer und Wassily Kandinsky verbunden. Mit ihren Ideen und ihrem Schaffen beeinflussten sie maßgeblich das Verständnis von Architektur und Design weltweit.

Bauhaus: Material, Ästhetik, Substanz

Vor genau einhundert Jahren zog das Staatliche Bauhaus von Weimar nach Dessau. In Anhalt, dem Silicon Valley der zwanziger Jahre, begann für die Schule die dynamischste Zeit, die Hinwendung zur Industrie und die Neupositionierung unter dem Motto „Kunst und Technik – eine neue Einheit“. Am 04. Dezember 1926 eröffnete das Bauhausgebäude von Walter Gropius mit seiner markanten Vorhangfassade und wurde zu einem gebauten Manifest einer Gestaltungs- und Bildungsrevolution. Heute gilt es als das Symbol für die „weiße Moderne“ schlechthin. Die Stiftung Bauhaus Dessau feiert das Jubiläum sechzehn Monate lang unter dem Motto „An die Substanz“.

Das Meisterhaus Gropius ist eine Ikone der Moderne.

Das Meisterhaus Gropius ist eine Ikone der Moderne. Foto: Berghoff

Inhaltlicher Schwerpunkt ist die Materialität, also der Einsatz und Umgang mit alten und neuen Materialien wie Glas, Beton und Metall in der Bau-, Technik- und Kulturgeschichte als Erbe des Bauhauses. Gleichzeitig werden Fragen nach neuen Potenzialen in der Baubranche vor dem Hintergrund gegenwärtiger ökologischer Herausforderungen gestellt.

Das Bauhaus in Dessau-Roßlau

Auf dem Gebiet Sachsen-Anhalts, in dem das Bauhaus von 1925 bis 1932 in Dessau seinen Sitz hatte, befindet sich heute die größte Anzahl authentischer Zeugnisse der Bauhaus-Architektur. Dessau-Roßlau kann eine Vielzahl von Bauhausgebäuden vorweisen. Dazu gehören die bereits als UNESCO Weltkulturerbe ausgezeichneten Bauten: das Bauhausgebäude und die Meisterhaussiedlung, 1926 nach den Entwürfen des ersten Bauhausdirektors Walter Gropius errichtet, und die Laubenganghäuser (1929-1930) des zweiten Bauhausdirektors Hannes Meyer. Hinzu kommen die Siedlung Törten mit dem Konsumgebäude (1926-1928), das experimentelle Stahlhaus (1926-1927) nach Entwürfen der Bauhäusler Georg Muche und Richard Paulick sowie das Restaurant Kornhaus von Carl Fieger (1929-1930). Für das in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts neue Phänomen der Massenarbeitslosigkeit und die daraus resultierenden Verwaltungsaufgaben entwickelte Walter Gropius mit dem Arbeitsamt (1927-1929) eine kreative Lösung für eine gänzlich neue Bauaufgabe.

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Das Prellerhaus am Bauhaus Dessau, Darin kann man auch tageweise wohnen. Foto: Weirauch

Bauhaus im Land der Moderne

Mit dem neuen Bauhaus-Museum der Stiftung Bauhaus besitzt das Land der Moderne ein weiteres kulturelles Juwel. Im Museum wird die große Sammlung der Stiftung Bauhaus Dessau umfassend öffentlich gezeigt. Sie ist mit 49.000 Artefakten und Dokumenten nach der in Berlin die zweitgrößte Bauhaussammlung der Welt. Auf rund 1500 m² werden Exponate aus der national wie international einzigarten Sammlung präsentiert und die Geschichte der epochemachenden Schule anhand eines Parcours von miteinander verbundenen Kapiteln nachvollziehbar erzählt.

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Das neue Bauhaus Museum in Dessau Foto: Weirauch

Denn es war die Dessauer Hochschule für Gestaltung, die an einer „industriellen Kultur des praktischen Lebens“ arbeitete und dazu beigetragen hat, dass Bauhausdinge wie Schrifttypen, Textilien, Tapeten und Architekturen heute selbstverständlich in unserer Alltagskultur verankert sind. Seit der Gründung der Stiftung Bauhaus Dessau 1994 entwickeln die Stiftung und die Stadt Dessau-Roßlau gemeinsam mit den ortsansässigen Wirtschafts-, Kultur- und Touristikpartnern Projekte, Veranstaltungen und kulturtouristische Angebote, die von den Gästen sehr gut angenommen werden.

Dessau.Kornhaus Bauhaus UNESCO Weltkulturerbe

Das Kornhaus ist eine Ausflugsgaststätte an der Elbe im Dessau-Roßlauer Stadtteil Ziebigk. Es gehört zu den Bauhausbauten. Foto: Weirauch

Gartenreich Dessau-Wörlitz und Bauhaus

Nach so viel beeindruckender Architektur aus Stein, Glas, Beton und Metall empfiehlt sich ein Ausflug ins nicht minder bedeutende UNESCO-Welterbe Gartenreich Dessau-Wörlitz. Nicht nur innen, sondern auch außen lockt hier die Hochkultur. Sachsen-Anhalt bietet einige der schönsten Parks und Gärten Deutschlands, die im Netzwerk „Gartenträume – Historische Parks in Sachsen-Anhalt“ vereint sind.

Gondeln im Park Wörlitz

Gondeln im Park Wörlitz warten auf Besucher

Einen Spitzenplatz nimmt das UNESCO-Weltkulturerbe Gartenreich Dessau-Wörlitz ein, das berühmt ist für seine Kanäle und Brücken, Schlösser und Tempel in einer großartigen Kulturlandschaft der Aufklärung. In diesem Jahr feiert die Kulturstiftung Dessau-Wörlitz das Jubiläum „25 Jahre UNESCO-Welterbe“. Ein Vierteljahrhundert ist inzwischen vergangen, seitdem das Gartenreich Dessau-Wörlitz zum Welterbe der Menschheit ernannt wurde. Das Landesverschönerungsprogramm des Fürsten Franz von Anhalt-Dessau (1740 -1817) erfuhr damit mehr als 200 Jahre nach seiner Entstehung auch internationale Würdigung.

Anlässlich des Jubiläumsjahres lädt die Kulturstiftung Dessau-Wörlitz ein, die Vielfalt, Schönheit und den Ideenreichtum des Gartenreichs neu zu entdecken.

 

 

Schloss Oranienbaum war der Sommersitz der Fürstin Henriette Catharina, Gemahlin des Fürsten Johann Georg II. von Anhalt-Dessau.

Schloss Oranienbaum war der Sommersitz der Fürstin Henriette Catharina, Gemahlin des Fürsten Johann Georg II. von Anhalt-Dessau. Foto: Jörg BerghoffUnd ganz ohne Bauhaus geht es im Gartenreich auch nicht: Das barocke, ab 1683 errichtete Schloss Oranienbaum zeugt von einer äußert wechselvollen Geschichte, die Spuren der Zeit sind deutlich bis in die Bauhausära nachweisbar. Zum 100-jährigen Jubiläum des Bauhauses in Dessau wurde diese Zeitschicht wieder sichtbar gemacht. Der Bauhausmeister Hinnerk Scheper (1897–1957) hat in den 1920er Jahren im Auftrag des damaligen Landeskonservators Farbfassungen für die Ausstellungsräume im Schloss Oranienbaum entwickelt.

Die heute noch in fünf Räumen erlebbaren Farbsituationen sind in Deutschland wohl die letzten noch existierenden Fassungen aus dem gestalterischen Schaffen Hinnerk Schepers.

Die heute noch in fünf Räumen erlebbaren Farbsituationen sind in Deutschland wohl die letzten noch existierenden Fassungen aus dem gestalterischen Schaffen Hinnerk Schepers. Foto: Jörg Berghoff

Robert Hartmann, Abteilungsleiter Baudenkmalpflege Kulturstiftung Dessau-Wörlitz, freut sich über die Restaurierung der Scheper-Fassungen in Schloss Oranienbaum.

Robert Hartmann, Abteilungsleiter Baudenkmalpflege Kulturstiftung Dessau-Wörlitz, freut sich über die Restaurierung der Scheper-Fassungen in Schloss Oranienbaum. Foto: Jörg Berghoff

Bauhaus: Tempel und Leuchtturm der Moderne

Persönlichkeiten der heutigen Kulturszene betonen die große Leuchtkraft des Jubiläums 100 Jahre Bauhaus Dessau. Marion Ackermann, Präsidentin der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, sagt: „Das Dessauer Bauhausgebäude ist eine Ikone der Architektur. Das Jubiläumsprogramm geht der Moderne auf den Grund, untersucht den Umgang mit Materialien, was für das historische Bauhaus schon ein großes Thema war.“ Staatsminister Rainer Robra, Chef der Staatskanzlei und Minister für Kultur des Landes Sachsen-Anhalt, betont: „Das Bauhaus war ein Ort des Experiments und des Neuen, ein Ort des künstlerischen wie gesellschaftlichen Aufbruchs. Als Leuchtturm der Moderne hat es nicht nur Sachsen-Anhalt nachhaltig geprägt. Seine Strahlkraft verdankt das Bauhaus nicht zuletzt einem Netzwerkgedanken, der auch 100 Jahre nach dem Umzug nach Dessau fortwirkt. Ich freue mich daher, dass die Stiftung Bauhaus Dessau und die Stiftung Preußischer Kulturbesitz unser architektonisches Erbe und dessen Materialien im Jubiläumsjahr gemeinsam in den Blick nehmen. Diese Befragungen der Substanz betreffen unsere Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auf vielen Ebenen.“

In der Berliner Neuen Nationalgalerie ist ein Schaufenster für das Bauhaus Dessau entstanden. „Wir sind sehr glücklich, dass der Auftakt des Jubiläums in einem Haus stattfinden kann, mit dem uns so viel verbindet. Dies betrifft nicht nur die zwei ikonisch gewordenen Architekturen, sondern auch den Umgang mit der Gebäudesubstanz unter heutigen Bedingungen. Dies betrifft Erhalt, Pflege und Nutzung gleichermaßen“, sagt die Direktorin der Stiftung Bauhaus Dessau, Barbara Steiner.

Highlight-Veranstaltungen 2025 – 2027

04.09. – 07.09.2025 Jubiläumseröffnung/Festival: An die Substanz. Bauhaus Dessau 100,
Bauhausgebäude + Bauhaus Museum Dessau + Stadtraum

Ab 26.09.2025 Rundgang Unsichtbares Bauhaus Dessau, Stadtraum Dessau

22.10. – 12.11.2025 Avantgardefilme Nitro –  Silber – Licht, Bauhaus Museum Dessau

04.12.2025 – 31.01.2027 Ausstellung Bakelit – Glasur – Farbe, Bauhaus Museum Dessau

28.03.2026 – 10.01.2027 Ausstellung Glas – Beton – Metall, Bauhausgebäude

28.03.2026 – 27.09.2026 Ausstellung Algen – Schutt – CO2, Ehemaliges Kaufhaus Zeeck

28.03.2026 – 27.09.2026 Ausstellung Ziegel – Shed – Strom, Historisches Arbeitsamt

28.03.2026 – 28.02.2027 Ausstellung Blech – Membran – Bullauge, Stahlhaus

28.03.2026 – 28.02.2027 Ausstellung Lamellen – Pfette – Knoten, Junkers-Lamellenhalle

04.09.2026 – 06.09.2026 Bauhausfest 2026 Salto – Takt – Form, Bauhausgebäude, Bauhaus Museum Dessau, Stadtraum

Das komplette Programm gibt es unter https://bauhaus-dessau.de/an-die-substanz-auftakt/

Alle Informationen rund um den Besuch in Dessau und dem Gartenreich Dessau-Wörlitz gibt es unter https://www.visitdessau.com/ und www.welterbe-gartenreich.de

© Text/Fotos Jörg Berghoff