Wenn sich in diesem Jahr – am 20. Juli – die erste Landung von Menschen auf dem Mond (1969) zum fünfzigsten Male jährt, darf ein weithin unbekanntes Kapitel dieses wahrhaft sensationell-historischen Geschehens aufgeschlagen und erörtert werden: Wie tief war Wernher von Braun, Erfinder der Mondrakete Saturn V, in das verbrecherische Nazisystem verstrickt – und weshalb war er schon 1933 freiwillig der SS beigetreten, in der er immerhin den Rang eines Sturmbannführers erreichte?
Wernher von Braun
Seine SS-Mitgliedschaft konnte bis zu seinem Tod (1977) geheim gehalten werden. Und seine anderweitige Nazi-Verstrickung spielte zu einer Zeit – diesem weltumspannenden Wettlauf der Systeme von Ost und West – nur eine, wenn überhaupt, untergeordnete Rolle. Wernher von Braun letztlich war der westliche „Heilsbringer“, als es um die Vorherrschaft im Weltraum und die Landung von Menschen auf dem Erdtrabanten ging.
Natürlich war der internationalen Journalistenschar, die sich in den US-Raumfahrtzentren tummelte, die Tatsache bekannt, dass die von-Braun-Truppe bei der Entwicklung von Raketenwaffen für das Dritte Reich auch KZ-Häftlinge beschäftigte, vor allem in den unterirdischen Raketenkatakomben im thüringischen Südharz. Wiederholt darauf angesprochen, lehnte von Braun jegliche Diskussion mit dem Hinweis ab „Es war Krieg“, und von den Gräueltaten der Nazis und dem millionenfachen Mord an den europäischen Juden hätten er und seine Truppe erst nach Kriegsende erfahren – in der US-Gefangenschaft.
In diesem Zusammenhang ist bezeichnend und erläuternd, wie publizistische Persönlichkeiten mit dieser Thematik umgingen: O Da war Reginald Turnill, der Raumfahrt-Reporter der BBC (British Broadcasting Corporation). Zwei Jahre lang weigerte sich der Radiomann, Wernher von Braun bei zahlreichen Begegnungen und Interviews in den USA die Hand zu geben. In seinem Buch „The Moonlandings“ nennt Turnill den Grund – weil er in London die deutschen Raketenangriffe erlebt hatte, ständig in Angst vor diesen V-Waffen leben musste, die Wernher von Braun in Peenemünde/Ostsee und bei Nordhausen/Thüringen entwickelt und gebaut hatte. Schließlich jedoch erlag Turnill „dem Charme“ von Brauns „und es entwickelte sich eine warme professionelle Freundschaft zwischen uns“. Von Braun hatte sich „mit dem Teufel verbündet“, so Turnill weiter, einzig zu dem Zweck, sein Lebensziel – den Mond – erreichen zu können. Erst im Oktober 1993 (!!!), anlässlich eines Besuchs Turnills in Nordhausen, „kamen mir wieder Zweifel“ – denn da erst wurde Turnill sich der ganzen verbrecherischen Verstrickungen von Brauns in das KZ-System bewusst.
O Mary Bubb war ursprünglich „nur“ Florida-Korrespondentin der Modezeitschrift Women`s Wear Daily. Im kleinen Cocoa Beach, das zum benachbarten Raketenzentrum Cape Canaveral gehörte, besaß sie ein für amerikanische Verhältnisse recht gemütlich eingerichtetes Haus – sie war clever und zukunftsorientiert genug, dieses Heim zum Treffpunkt der internationalen Weltraum-Eliten zu machen. Hier gingen Astronauten und NASA-Bürokraten ebenso ein und aus wie Politiker und Medienvertreter aus aller Welt. Hier gab es immer neben Köstlichkeiten aus Küche und Flaschen die neuesten Nachrichten und Gerüchte – und das schneller und zuverlässiger als von den Dutzenden PR-Leuten der NASA vermittelt. Für Mary Bubb war Wernher von Braun eine „Ikone“, wie sie – die zu jedem Start und jeder Pressekonferenz einen anderen ihrer selbst gebastelten exotischen Hüte trug – nicht müde wurde, zu betonen. „Toll aussehend“, schwärmte sie auch, „vor allem stets informativ – und das auch bei kompliziertester Technologie immer verständlich“. Von Braun ein Nazi? Damit durfte man ihr nicht kommen, da wurde sie wütend.
O Auch Norman Mailer, einer der größten Schriftsteller des 20.Jahrhunderts, konnte dem sprichwörtlichen Charme von Brauns nicht widerstehen – das geht aus seinem auch phantastisch bebilderten Buch „Moonfire“ unzweideutig hervor. Er widmet ebenso wenig wie der US-Radioreporter Walter Cronkite (CBS) dem von-Braunschen Nazi-Engagement den Raum, der ihm gebührt hätte. Das müssen sich die NASA und die US-Politik vorwerfen lassen: Die Fragwürdigkeiten, die Negativismen, vielleicht auch: die Schuld eines Wernher von Braun wurden bewusst ignoriert. Er war und musste es bleiben – der Held des seinerzeitigen west-östlichen Mond-Wettstreits.
Das gilt nicht minder für die deutsche Politik und die deutschen Berichterstatter, einschließlich des Schreibers dieser Zeilen, der sich damals wegen der bevorstehenden Mondlandungen 1968 als SAD-Korrespondent (Springer Auslands Dienst) für die nächsten rund zwei Jahrzehnte in New York niederließ. Wernher von Braun wurde verehrt und gefeiert, er erhielt zweimal das Bundesverdienstkreuz (1959, 1970), er wurde Ehrenbürger von Berlin und erhielt 1975 die Goldmedaille der angesehenen deutschen Humboldt-Gesellschaft. Straßen und Schulen erhielten seinen Namen – eine Gesamtschule bei Fulda änderte das erst 2015.
Wernher von Braun, geboren 1912 bei Posen, war schon als Oberschüler im Internat Weimar-Ettersberg – trotz mathematischer Defizite – an der Weltraumforschung interessiert. Eine Seltenheit damals. Aber so ist vielleicht zu erklären, dass er mit dem Ende der Weimarer Demokratie und dem Aufkommen der Nazis seine Chance sah – Weltraumforschung zu betreiben und der Landung auf dem Mond näher zu kommen. Er wurde schon 1933/34 Mitglied der studentischen Reiterschule der SS in Berlin-Halensee. Am 1. Mai 1940 wurde er Mitglied der Allgemeinen SS – Mitgliedsnummer 185 068. Das haben verschiedene Historiker, darunter Ulrich Kulkes, in Erfahrung gebracht – aber, um das zu wiederholen: Von Brauns SS-Verstrickungen wurden erst nach seinem Tod 1977 bekannt. Und selten, wenn überhaupt, erwähnt oder gar analysiert.
Mitglied der Hitler-Partei NSDAP wurde von Braun erst 1937 (Parteinummer 5 738 692). Da war der Ausbau Peenemündes auf der Ostseeinsel Usedom in vollem Gang – offiziell als „Heeresversuchsanstalt“, wahrhaftig als ein Entwicklungszentrum geheimer, neuartiger Waffen. Peenemünde wurde die fortgeschrittenste Raketenschmiede ihrer Zeit. Und Wernher von Braun ihr Master und Krösus. Er sollte jene Waffensysteme entwickeln, die den 1939 von Hitler begonnenen Krieg für die Nazis entscheiden sollte. Von Brauns Rakete A4 wurde ein solches Geschoss, das London treffen, aber nicht mehr als „Nadelstiche“ vermitteln, verursachen konnte: Alle gegen London und später Antwerpen gestarteten V-Raketen hatten z u s a m m e n keine größere Sprengkraft als die eines e i n z i g e n alliierten Luftangriffs auf Dresden, Hamburg oder Berlin.
Trotz allen Engagements der Peenemünder Wissenschaftler für den Krieg hielten sie insgeheim an ihrem großen Ziel der Landung von Menschen auf dem Mond fest. Das war und blieb das erklärte Ziel Wernher von Brauns. Und das war von irgend jemandem Heinrich Himmler zugetragen worden, dem Chef der SS und damit einem der grausamsten, schlimmsten Verbrecher der Nazi-Clique. Er ließ von Braun im Februar 1944 vorladen, mit der Absicht – so verkündete er -, die Aufsicht über das Raketenwesen selbst zu übernehmen. Von Braun lehnte ab. Daraufhin wurde er vier Wochen später von der Gestapo (Geheime Staatspolizei) verhaftet. Der Vorwurf: Landesverrat und Wehrkraftzersetzung mit der Absicht der Flucht nach England. Das bedeutete die Todesstrafe. Als das die Peenemünder Raketenexperten hörten, alarmierten sie Armeegeneral Dornberger und Kriegsminister Speer. Die wurden sofort bei Hitler vorstellig, prophezeiten ohne die Raketenwaffen eine schnelle Katastrophe – von Braun wurde frei gelassen. Am 29. Oktober 1944 wurde von Braun sogar mit dem Ritterkreuz mit Schwertern geehrt. Nachdem sich die Rote Armee immer schneller vorwärts bewegte und auch Peenemünde bedrohte, setzte Wernher von Braun die totale Räumung durch. Er hatte durch seinen perfekt Englisch sprechenden Bruder Magnus erfahren, dass auch Thüringen den Sowjets überlassen würde – deshalb zogen sich „die Peenemünder“ nach Oberbayern ab. Dort wurden sie letztlich von den Amerikanern „in Gewahrsam“ genommen. Einschließlich in Dutzenden Lastwagenkolonnen und Güterzügen tonnenweise mitgeführter Unterlagen und Raketenteile.
Wernher von Braun und mehr als 100 seiner engsten Mitarbeiter wurden in die USA verbracht. Das von allen angestrebte „Ziel Mond“ konnten in Angriff genommen werden.
Die Saturn V, auf der Basis der Peenemünder A4 entwickelte größte und stärkste Rakete der Welt – noch heute! -, ermöglichte die Mondlandungen und damit den Sieg im Wettlauf mit den Sowjets.
Buchtipp: neben verschiedenen Ausstellungen zum Jubiläum sind auch einige Bücher und Bildbände zum 50. Jahrestag der Mondlandung erschienen. Darunter sehr prächtige Ausgaben im Taschen Verlag.
Auf dem Axel Springer Blog berichtet Wolfgang Will im Gespräch mit Lars-Broder Keil übert die NASA-Zeit während der ersten Mondlandung.“Kein Ereignis vor 50 Jahren hat weltweit so viel Aufmerksamkeit erzeugt, wie die Mondlandungen 1969. Axel Springer hat damals umfangreich über die Raumfahrt berichtet, mit speziellen Korrespondenten und eigenen Ressorts. Inside.history-Autor Lars-Broder Keil hat mit Wolfgang Will gesprochen, dem einzigen deutschen Journalisten, der dauerhaft von den USA aus über die NASA und die Mondlandungen berichtete.“
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