Alljährlich bekommen wir den Kunst-Kalender des MFK – Mund- und Fußmalende Künstler Verlag GmbH Stuttgart zugesandt. Alljährlich erinnert uns dieser Kalender an einen Künstler, der sein schweres Schicksal angenommen hat und mit der Mundmalerei eine neuen Leidenschaft entwickelte, die ihm nicht nur dabei half, sondern zugleich anderen Freude bringt.MundmalerKahlau Gesund 2010

2009 lernte ich den in Caputh (Schwielowsee) lebenden Künstler kennen  und schrieb darüber folgenden Text für das Magazin „Gesund“, den ich Euch hier gern zur Kenntnis bringen will.

Lest hier die Geschichte von Thomas Kahlau

„Das Martyrium von Thomas Kahlau beginnt im Sommer 1976. Kopfüber sprang der damals 15-Jährige in einen Kiesgrubensee bei Potsdam. Mit der Stirn schlägt er auf dem Grund auf – und kann Arme und Beine nicht mehr bewegen. Zehn Jahre lang kämpfen Ärzte, Krankenschwestern und vor allem seine Familie darum, ihn ins Leben zurückzuholen. „Meine Eiszeit“, sagt Kahlau. „Ohne meine Eltern und die Malerei hätte ich das nicht überlebt.“ Soviel zur Vorgeschichte, die Thomas auch in einem berührenden Buch aufschrieb..

Mein damaliger Text beginnt so: „Kraftvoll fährt Kahlaus Pinsel über die Leinwand. Er sitzt im elektrischen Rollstuhl in seinem Atelier, den Kopf an eine Nackenstütze gelehnt. Er hält das 60 Zentimeter lange Malwerkzeug zwischen den Zähnen. Mächtige alte Bäume faszinieren ihn. Mit ihren dunklen Ästen und Zweigen bannt er sie auf die Leinwand. Der heute 59-Jährige (2020 d.R.) ist einer der wenigen querschnittsgelähmten Künstler, die es zu internationalem Ansehen gebracht haben. Seine Bilder waren u.a. in Shanghai, Sydney und Mexiko zu sehen.

Seine Familie hilft

Nach dem Badeunfall scheint für Thomas Kahlau das Leben vorbei zu sein. Vom Nacken an abwärts ist sein Körper gelähmt. Doch die Familie unternahm alles, ihm die Freude am Leben wiederzugeben. Der Vater bastelte eine Vorrichtung, mit der er einzelne Buchseiten umblättern kann. So lernte der Jugendliche sogar japanisch, übersetzt Fachliteratur. Auch die ersten Malversuche haben therapeutische Gründe. Kahlau bekommt Zeichenunterricht, und zusammen mit einem Zahnarzt konstruierte der Vater einen Pinselhalter für den Mund. Das Werkzeug, das den Druck von den Schneidezähnen nimmt, benutzt der Künstler bis heute.

Mundgemalte Karten zum Weihnachtsfest

Zehn Mund- und zwei Fußmaler gibt es in Deutschland. Ihre Motive schmücken jährlich Weihnachtskarten, die der Verlag der Vereinigung der mund- und fußmalenden Künstler (VDMFK) weltweit verschickt. In 70 Ländern ist die Organisation aktiv, übernimmt die Vermarktung der Bilder und unterstützt ihre Mitglieder mit Stipendien oder zahlt ein regelmäßiges Einkommen. Bereits 1986, noch zu DDR-Zeiten, erhielt beispielsweise Thomas Kahlau ein VDMFK-Stipendium.

Heute vertritt Thomas Kahlau als eines von fünf deutschen Vollmitgliedern den Verein auch international. Mittlerweile trägt seine Kunst auch zum Lebensunterhalt bei. Pflegekasse und Integrationsamt teilen sich die Kosten für einen Arbeitsassistenten, der auch die tägliche Pflege des Schwerbehinderten übernimmt. Pfleger Marco Scherbarth ist bei der Arbeitsgemeinschaft Spina bifida und Hydrocephalus angestellt, besorgt die Mal-Utensilien, bereitet sie neben der Staffelei vor und begleitet Thomas Kahlau auch auf Reisen.

Rollstuhl mit Kinnsteuerung

Wenn Eltern oder Pfleger nicht da sind, dann hilft Technik. Mit einer Spracherkennungs-Fernbedienung steuert Thomas Kahlau Lampen und Fernseher. Der Rollstuhl, in dem er sitzt und arbeitet, ist ein technisches Meisterwerk. Steuern lässt er sich mit einem Minijoystick, den Kahlau mit dem Kinn bedient. Studenten der Fachhochschule Lausitz haben dem Mundmaler eine Staffelei entwickelt, deren Motoren mittels Magnetschalter bedient werden. Und auf die Tastatur seines Laptops tippt er mit einem zwischen die Zähne geklemmten kleinen Stab.

Mitleid will Kahlau nicht, höchstens Mitgefühl. Mit der Qualität seiner Bilder versuche er die Voreingenommenheit gegenüber der Kunst von Menschen mit Handycap abzubauen. „Es gibt nur gute oder schlechte Kunst. Sie ist nicht wertvoller oder minderwertiger, nur weil sie ein Mensch mit Händen gemalt hat. Es kommt doch auf den Inhalt an“, sagt er.

Dynamische Pinselstriche prägen seinen Malstil – ob Acryl, Öl oder Aquarell. Anfangs habe er sich an Vincent van Gogh orientiert, später an Caspar David Friedrich. Heute fühlt er sich von der Leipziger Schule um Neo Rauch inspiriert. In Potsdam initiierte Kahlau gemeinsam mit der VDMFK und der Malerin Monika Sievcking einen Workshop für mund- und fußmalende Künstler. Dieses Jahr standen Aktmalerei und Stillleben auf dem Programm.

Lebenskrise durch Malen überwinden

Und immer wieder suchen behinderte junge Menschen Rat bei ihm. „So manchem konnte ich helfen, die Lebenskrise mit Malen zu überwinden.“ Stets ist es ihm wichtig, den Blick auf das geschaffene Kunstwerk zu legen und nicht auf den Umstand, wie es entstanden ist. „Das ausführende Werkzeug ist keine Hand, sondern mein Mund. Für mich ist das Alltag und Normalität. Mein Geist trifft die Entscheidung, wo die Farbe platziert wird. Wäre hier ein langer Arm nicht ein Umweg?“

Im Jahr 2000 verlieh ihm Bundespräsident Roman Herzog das Bundesverdienstkreuz am Bande, weil er anderen Behinderten Mut man und darüber hinaus Toleranz, Verständnis und einen selbstverständlichen Umgang mit Behinderten fördere. Über das Schicksal Thomas Kahlaus drehte DEFA-Regisseurin Gitta Nickel den Dokumentarfilm „Den Wind auf der Haut spüren“. Der Künstler hat eine Autobiografie geschrieben: „Die Kraft in mir“, zu bestellen beim MFK-Verlag (www.mfk-verlag.de). 2013 wurde er Vizepräsident der Vereinigung. Mehr hier dazu.

Berliner Regen von Thomas Kahlau

Thomas Kahlau betreibt eine eigene Internetseite: www.mundmaler.de

Die Vereinigung der mund- und fußmalenden Künstler (gegründet 1956) ist eine internationale Organisation mit Sitz in Liechtenstein. Der VDMFK gehören weltweit mehr als 600 Mund- und Fußmaler als Mitglieder oder Stipendiaten an, die regelmäßig monatliche Honorare beziehungsweise Stipendien erhalten. Ermöglicht wird dies durch die kommerzielle Verwertung der mund-/fußgemalten Motive durch Eigenverlage der VDMFK oder geeignete Verleger. In Deutschland ist im Rahmen dieser Selbsthilfe der MFK-Verlag mit Sitz in Stuttgart tätig, der 1997 als Tochter der VDMFK gegründet wurde. Der Verein beschäftigt mehrere Mitarbeiter und versteht sich als Partner der Mund- und Fußmalenden Künstler, deren Arbeiten er u. a. als Grußkarten vertreibt.

Hier findet ihr weitere Information zu den Ateliers am Schielowsee.

Kontaktadresse: MFK Mund- und Fußmalende Künstler Verlags GmbH, Schulze-Delitzsch-Straße 13, 70565 Stuttgart, Telefon: 07 11/78 19 20-0.

Hier erhaltet ihr weitere Informationen, auch zu Thomas Kahlau.