Wenn ein Boss von der Bedeutung eines Vorstandsvorsitzenden plötzlich seine Meinung ändert und quasi das Gegenteil verkündet, darf das schon als Sensation bezeichnet werden. In diesem sehr speziellen Fall trifft das auf den Chef der Deutschen Lufthansa zu, Carsten Spohr. Der – und sein Unternehmen – haben sich in der Vergangenheit luftfahrttechnisch nicht gerade als Berlin-Fans gezeigt. Ihr Engagement etwa für den geplanten neuen Großflughafen der Stadt – BER – war eher lauwarm oder verhalten.
Aber nicht nur damit scheint auf einmal Schluss zu sein – nein, der Donnerhall seiner Bemerkung, Berlin könne durchaus über zwei Flugplätze verfügen, hat Überschallqualität. Denn er ist damit der erste seiner Gattung, der öffentlich Weitsicht zeigt und die provinzielle Politik der Bundesregierung und des Berliner Senats geradezu geißelt und sich zudem die Wünsche der Bevölkerung zu eigen macht. Spohr in seiner Rede anlässlich einer Lufthansa-Veranstaltung im Konzerthaus am Berliner Gendarmenmarkt: Seine Kunden und die Öffentlichkeit erwarten „zu Recht von allen Beteiligten, dass wir die Frage der Offenhaltung von Tegel mit Blick auf die aktuelle Entwicklung des Luftverkehrs neu bewerten“.
BER ist viel zu klein ausgelegt
Er hat sich damit zu einer Binsenweisheit bekannt. „Endlich“, darf hinzugefügt werden. Denn der Fachwelt wie auch der Mehrheit der Berliner sind diese Tatsachen seit vielen, vielen Jahren bekannt: Der von Pech und Pannen und Fehlplanungen verfolgte BER ist von Anfang an viel zu klein ausgelegt, seine Zufahrtsmöglichkeiten versprechen Dauerstaus und somit Chaos. Fazit – wozu sich also nunmehr auch der Lufthansa-Chef bekennt: Berlin benötigt zwei Flugplätze, neben dem neuen BER, der nach halbdutzendfacher Verschiebung des entsprechenden Termins nunmehr Ende 2020 in Betrieb gehen soll, muss auch der beliebte innerstädtische Airport Tegel erhalten bleiben.
Tegel muß offen bleiben
Die ja insgesamt miefige Politik des Berliner Senats aus SPD, Grünen und Linken ist von der Kehrtwendung des Lufthansa-Chefs wie im Schlaf überrascht worden. Bis auf den FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja lehnen die tonangebenden Berlin-Politiker die Offenhaltung Tegels auch weiterhin ab. Czaja konterte deshalb sofort: „Die drohenden Kapazitätsengpässe am BER, die Aussicht auf eine Dauerbaustelle voller Einschränkungen und nicht zuletzt die Großflughafenpläne bei Warschau erfordern ein grundlegendes Umdenken für den Luftverkehrsstandort Berlin-Brandenburg. Wenn Deutschlands größte Airline und eine Million Bürger diesen Zweifel äußern, muss der Senat sofort seinen Anti-Tegel-Kurs ändern“.
A pro pos Tegel und Volk: Man kann ja absolut dank guter und überzeugender Argumente generell etwas gegen Volksentscheide haben – aber im Rahmen einer solchen Befragung sprachen sich im September 2017 über 56 Prozent der Berliner für die Offenhaltung von Tegel, also für zwei Hauptstadt-Flughäfen aus. Dieses Ergebnis war kaum bekanntgegeben worden, da erklärte der Senat bereits, es zu ignorieren. So viel zum immer wieder gepriesenen „Volkeswillen“.
Dilemma Deutschland: Flughafenproblematik
Was sich da in Berlin um die Flughafenproblematik abspielt, ist längst zum Dilemma Deutschland geworden. Verantwortlich dafür sind Merkel und ihre großen Koalitionen. So hätte die Flugbereitschaft der Luftwaffe längst von Köln nach Schönefeld verlegt werden können. Statt dessen muss jedes mal, wenn ein Regierungsflieger benötigt wird, eine Maschine von Köln mach Berlin fliegen. Aber auf ausdrückliche Anweisung der Kanzlerin ist ein spezieller Regierungsterminal in Schönefeld mit Karacho und Millionen Steuergeldern fertiggestellt worden. Doch der ist eingemottet und setzt für die nächsten zwei Jahr Schimmel an, denn er soll – auch wieder Merkel-Befehl – erst nach BER-Eröffnung für Ehren- und ausländische Regierungsgäste benutzt werden. Die landen und starten weiterhin in Tegel – das Wort „Schildbürgerstreich“ verharmlost eine derartige Schizophrenie.
Die Flugbereitschaft der Luftwaffe ist ausdrucksstarkes Beispiel für das Dilemma Deutschland: Ihre Maschinen bleiben serienweise auch im Ausland liegen, so dass Minister und selbst die Kanzlerin auf Linienmaschinen umsteigen müssen – Material- und Wartungsfehler oder Ersatzteilmangel, die gesamte Bundeswehr ist bis auf wenige kleine Eliteeinheiten nicht einsatzfähig, der Staatsbetrieb Bahn ist vom Siechtum ergriffen, die öffentlichen Schulen brechen förmlich in sich zusammen, kommunale Einrichtungen kränkeln vor sich hin, öffentliche Bauten wie einige des Bundestages und letztlich der BER verrotten ganz einfach.
Deutschland zum Entwicklungsland degradiert
Dieses Deutschland ist von einer der führenden Wirtschafts- und Industriemächte der Welt zum Entwicklungsland herab regiert worden.
Und genau so soll Berlin degradiert werden – zum Millionendorf mit einem äußerst fragwürdigen und sicher dauer-baufälligem Einzelflugplatz. Dabei hat jede Berlin-vergleichbare Stadt auf dem Globus mehr als nur einen Airport.
Journalist Wolfgang Will schreibt als Gastautor regelmäßig für einfachraus.eu über aktuelle Themen der Mobilität. Hier sein jüngst erschienener Beitrag zu Problemen bei der Bahn.
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