In unserer Serie „Kanäle Europas“ stellen wir heute vor: Augustów-Kanal

Einst sollte er die Flusssysteme von Weichsel und Memel miteinander verbinden und das russische Teilungsgebiet Polens unabhängig von preußischen Zöllen machen. Heute ist der nie vollendete Kanał Augustowski eines der beliebtesten Ziele für Aktivurlauber im Nordosten Polens. 2023 jährt sich die Planung des 102 Kilometer langen Bauwerks zum 200. Mal. Für die Woiwodschaft Podlaskie (Podlachien) und die Anrainerkommunen ein Grund zum Feiern.

Der Kanal gehört zur Europäischen Route Industriekultur.

Seine naturnahe Beschaffenheit verleiht dem Augustów-Kanal seinen besonderen Reiz. Natürliche Flussläufe und Seen wurden von West nach Ost mit mal längeren, mal kürzeren Durchstichen verbunden.

18 Schleusen regulieren 54 Meter

Insgesamt 18 Schleusen regulieren über seinen Verlauf Höhenunterschiede von 54 Metern. Rund 82 Kilometer des Kanals verlaufen heute auf polnischem, die restlichen knapp 20 Kilometer auf belarussischem Boden. Die bewegte Geschichte des Bauwerks können Besucher am besten in der Filiale des Museums von Augustów in der einstigen Hafenmeisterei kennenlernen. Die Ausstellung zeigt unter anderem die Originalpläne aus der Hand von Ignacy Prądzyński (1792-1850). Der Unteroffizier und Veteran der Napoleonischen Kriege war von der polnischen Generalität mit der Planung des Jahrhundertbauwerks beauftragt worden.

Technisches Meisterwerk und beliebtes Revier für Wassersportler

Die Entstehung des Kanales war durch die veränderte geopolitische Situation nach dem Wiener Kongress 1815 motiviert worden. Damals kamen weite Teile Zentral- und Nordostpolens, die nach der dritten polnischen Teilung zunächst preußisch und habsburgisch wurden, an das Zarenreich. Der Kanal sollte für das neue russische Teilungsgebiet eine Alternative zur zollpflichtigen Nutzung preußischer Gewässer werden. Bis dahin mussten Handelswaren über die preußischen Häfen Danzig, Königsberg oder Memel ausgeführt werden.

Nur zwei Jahre nach dem Spatenstich von 1824 wurde Prądzyński wegen Zugehörigkeit zu einem polnisch-patriotischen Geheimbund inhaftiert. Zwar kehrte er nach seiner Entlassung 1829 zum Bau zurück, der wurde aber 1831 wegen des bewaffneten Novemberaufstandes vorübergehend eingestellt. Prądzyński gehörte zu den führenden Befehlshabern der aufständischen Polnischen Armee und befand sich von 1832 bis 1834 in der Verbannung im Wolgagebiet. Während eines Kuraufenthaltes starb er 1850 auf der Insel Helgoland.

Nach der Niederschlagung des Aufstandes wurde der Kanal bis 1839 bis zu seinem heutigen Endpunkt an der Memel fertiggestellt. Die Weiterführung zum lettischen Ostseehafen Ventspils wurde wegen Streitigkeiten zwischen den zaristischen Behörden und der polnischen Verwaltung nie begonnen. Zudem senkten die preußischen Behörden bereits zuvor ihre Strafzölle auf Waren aus dem russischen Teilungsgebiet, so dass der Kanal seine eigentliche Bestimmung nie erfüllte. In der Folge wurde er vor allem für den Holztransport genutzt.

Touristische Attraktion

Heute ist der Kanal mit seinen denkmalgeschützten Schleusen eine der größten touristischen Attraktionen der nordöstlichen Woiwodschaft Podlasie. Erste Ausflugsschiffe verkehrten bereits Ende des 19. Jahrhunderts auf der Wasserstraße.

Die Weiße Flotte bietet mehrere Rundfahrten durch die Seen und Teile des Kanals an, unter anderem zum Sanktuarium in Studzieniczna. Beliebt ist der Kanal besonders bei Paddlern. Er ist Teil der Czarna Hańcza-Route, die an Polens tiefstem See Hańcza beginnt und in etwa einer Woche durch die dünn besiedelte Region des Wigry-Nationalparks und der Augustower Heide führt. Entlang der Strecke gibt es eine sehr gut ausgebaute Infrastruktur für Wasserwanderer.

Mitte des 19. Jahrhunderts verkehrten auf ihr vor allem Salzfrachter Richtung Litauen. Später diente der Kanal dazu, Holz zu flößen. Sein Erhaltungszustand ist ausgesprochen gut. Viele der Originalgebäude sind noch erhalten. Dazu gesellt sich das unberührte Landschaftspanorama der umgebenden Nadelwälder. An der Schleuse von Kuzyniec ist noch ein frühes betoniertes Zugbrückenfundament zu sehen – eines der ersten Beispiele dieser Art in Europa.

Techniktrumpf aus Uropas Tagen

Bereits in den 1920er Jahren galt der Kanal als Touristenattraktion, seit 1968 steht der polnische Teil unter staatlichem Schutz. Rund 20 Kilometer des Kanalverlaufs liegen im heutigen Weißrussland, wo man hofft, die touristischen Angebote entsprechend dem polnischen Vorbild zu verbessern. In Polen können Besucher bereits jetzt Kanus oder Motorboote besteigen oder mit einem Boot von Schleuse zu Schleuse fahren. Überdies lädt dort ein Treidelpfad dazu ein, die 39 Kilometer von Augustow nach Mikaszowka zu Fuß oder auf dem Fahrrad zurückzulegen.

Rund um den Saisonstart 2023 sind die zentralen Feierlichkeiten zum 200. Geburtstag des Bauwerks geplant. Sie beginnen am 27. und 28. April mit einer wissenschaftlichen Konferenz zu Geschichte, Gegenwart und Zukunft des Kanals in Augustów. Am 28. April findet dann ein großes Volksfest mit verschiedenen wassersportlichen Vorführungen, Konzert, Schiffs- und geführten Radausflügen statt. Zu den Highlights im Jubiläumsjahr zählen eine internationale Floßfahrt und eine Fahrt mit 200 Kajaks im Sommer.

Hauptort der Region ist die Kurstadt Augustów, die über  ein sehr gutes Übernachtungsangebot verfügt. Sie liegt etwa 250 Kilometer nordöstlich von Warszawa (Warschau).

Informationen unter www.augustow.pl 

Weitere Informationen über das Reiseland Polen beim Polnischen Fremdenverkehrsamt, www.polen.travel

Quelle: Presseinformation Polnisches FVA

Hier ein weiterer Kanal in Polen: Oberlandkanal in Masuren