Aus roten oder gelben Ziegeln gebaute Häuser begegnen uns nicht nur in großen Städten wie Berlin oder Hamburg. Auch auf dem platten Land erinnern große, teilweise prächtig verzierte Gutshöfe und Bauerngehöfte mit ihren Scheunen, und viele Bürgerhäuser aus dem 19. Jahrhundert an ein Baumaterial, das über eine reiche Bautradition verfügt: Ziegelsteine, auch Backsteine gtenant. Die besten, besonders hart Gebrannten, werden auch Klinker genannt. Und da Kulturland Brandenburg 2021 sich dem Thema Industriekultur widmet, wollen wir hierüber mehr erfahren, Industriekultur ist ja auch Baukultur.
„Zweihüftige“ Ziegelsteinstraße
Auf unseren Touren durch das Havelland entdeckten wir hinter Bagow/Päwesin ein seltenes Objekt, das aus Ziegeln Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden ist und im Land Brandenburg nach Meinung von Experten wohl einmalig ist. Eine vollends aus hochkant verlegten Ziegelsteinen gepflasterte Chaussee zog unsere Blicke auf sich und ließ uns anhalten. Es ist eine alte niederländische Verlegetechnik, bei der Ziegelsteine hochkant gestellt werden. Mopke nennt man beispielsweise den so gestalteten Platz zwischen Neuem Palais und Communs im Park Sanssouci.
Doch eine rund 10 Kilometer lange Straße im Havelland ? Die Farbe und das Muster der Pflasterung der Ziegel, machten uns neugierig. Schon auf der Hinfahrt konnten wir uns an der schönen Landschaft, die geprägt ist von viel Wasser, grünen Wiesen und Wäldern, nicht satt sehen. Hinzu kamen Straßenschilder und Flurnamen wie Am Erdeloch, Ziegelei, Ziegeleiweg, An der Alten Ziegelei, Ziegeleistraße, Tonstraße, Klinkgraben und Bagower Bruch. Um nur einige zu nennen. All das hat mit der Herstellung, dem Brennen und Transport von Ton und Ziegeln zu tun.
Erbaut zwischen 1907 bis 1909
Eine „Nichtstaatschaussee“ ist die Straße Groß Behnitz – Klein Behnitz – Riewendt – Bagow – Päwesin. Zwischen 1907 bis 1909 errichtet, sollte sie doch die Bahnhöfe Groß Behnitz und Päwesin miteinander verbinden. sie hatte aber nach Auffassung des Kreistages einen weiteren Nutzen: „Erhöhte Bedeutung erhält die Chaussee für eine weitere Umgebung als Abfuhrweg für Bau- und Brennholz aus den ausgedehnten Forsten bei Behnitz und Riewend. Der vorhandene Weg ist infolge der lehmigen Beschaffenheit des Bodens und der zu überwindenden Steigungen bei nasser Witterung sehr schwer passierbar.“
Statt Pflaster aus Granit – Ziegelsteine
Technisch wurde die Kunststraße zwischen Klein Behnitz und Bagow/Päwesin in Abkehr von der herkömmlichen Ausführung mit Schotterdecke in Klinkerpflaster auf verdichtetem Unterbau über vier Meter Breite ausgeführt. Dabei wurden gelbe Klinker hochkant in einem Sandbett verlegt und diese „zweihüftig“, also in beide Fahrtrichtungen, im Diagonalverband mit einem Winkel von 45 Grad zur Entwässerung überhöht und am Rand mit zwei parallelen Läuferreihen angeordnet. Die Mehrkosten wurden durch den geringeren Unterhaltungsaufwand aufgewogen. So beschreibt es eine unlängst vom Landkreis Havelland hinter Klein Behnitz am Straßenrand aufgestellte Informationstafel.
Woher der Name Klinker ?
Generell hatte der Einsatz von Klinkern, hart gebrannten Ziegeln – der Name rührt von dem hohen Klang, der beim Anschlagen entsteht – in Norddeutschland auf Grund des geringeren Vorkommens an Naturstein eine lange Tradition. Mit der vermehrten Anlage von Chausseen ab der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war der Bedarf an Steinen aber sehr gestiegen, weshalb neue Werkstoffe erforderlich wurden. Dadurch prosperierte die aufgrund hoher Tonvorkommen hier beheimatete Ziegelindustrie. Besonders geeignet waren die gelben Klinker. Sie wurden aus Havelton mit einem erhöhten Mangananteil bei 1110 bis 1300 Grad gebrannt, so dass sich bei dem beginnenden Sinterprozess die Poren des Brenngutes schließen. Diese Klinker, so ist zu lesen, nehmen kaum Wasser auf, sind sehr widerstandsfähig und eignen sich besonders für den Bau von Ziegelpflasterstraßen.
Ein Kilometer Straße: 252.000 Steine
Für einen Kilometer Chaussee mit einer Fahrbahnbreite von vier Metern benötigte man etwa 252.000 Klinker. Gut möglich, dass ein Großteil der Steine aus der am benachbarten Riewendsee bis um 1910 existierenden von Ribbeckschen Ziegelei (Bagow) kamen. Oder aus der Meinhardtschen Ziegelei in Päwesin, Reste des Ofens und einige Gebäude stehen noch.
In der Gegend um Ketzin, Päwesin, Riewend und Rathenow kann man noch heute viel über Ziegeleigeschichte erfahren. In der Remise des rathuses Ketzin gibt es seit September 2020 eine Ausstellung zur Ziegeleigeschichte der Region. Von 1880 bis 1910 verlangte die rasant wachsende Großstadt Berlin nach Baustoffen. Und dazu gehörten Ziegelsteine und Kalk. „Berlin ist aus dem Kahn gebaut!“ so das geflügelte Wort. Um die erforderlichen Mengen zügig produzieren zu können, waren neue Maschinen und Produktionsmethoden erforderlich. Dazu gehörte u. a. die sogenannte „Strangpresse“, die bis zum Einsatz der Dampfmaschine durch Pferde per Göpel angetrieben wurde. Größtenteils wurden bis dahin die Ziegel im Handstrichverfahren aufwändig gefertigt.
Freundeskreis Ziegeleigeschichte
Als wichtigste Neuerung ist der „Hoffmannsche Ringofen“ zu nennen, der 1839 in Fürstenwalde (heute Landkreis Oder-Spree) erfunden wurde. Er ermöglichte eine erhebliche Produktions- und Qualitätssteigerung, so dass sich das Ziegelgewerbe ab 1850 zu einer neuen Industrie mit hohem Mechanisierungsgrad entwickelte. Reste eines Hoffmannschen Ringofens existieren noch im unweit von Bagow befindlichen „Marienhof“. Dort trafen sich 2019 der Freundeskreis Ziegeleigeschichte.
Hoffmannscher Ringofen in Glindow
Der wohl letzte noch funktionierende Hoffmannsche Ziegelringofen im Land Brandenburg befindet sich in Glindow bei Werder/Havel. Dieser kann während der vom Märkische Ziegeleimuseum veranstalteten Führungen in Produktion besichtigt werden.
Auf der Internetseite des Brandenburgischen Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum gibt es in der Denkmaldatenbank wenig Informationen zu der 1906/1907 gebauten Straße. (www.bldam-brandenburg.de).
Und wenn die Ziegelsteine nicht mit Schiffen nach Berlin gebracht („Berlin ist aus dem Kahn gebaut!) wurden, so nutzte man bis in die 1960er Jahre die Eisenbahn als Transportmittel. Dazu mehr hier.
Gut informiert die jüngst an der Straße von Klein Behnitz nach Riewend angebrachte Infotafel.
Wir wünschten uns, der Schilderwald an beiden Seiten der alten Landstraße von Bagow aus kommend, würde ausgetauscht werden. Es reicht ein Schild mit einem Hinweis auf das “Baudenkmal” und der eingeschränkten Geschwindigkeit auf 30 Kilometer/Stunde für alle Fahrzeuge. Das schützt das Pflaster, informiert über eine brandenburgische „Schönheit“ und stört nicht den Blick in die Landschaft.
Allerdings gibt es auch Stimmen, die wollen die Ziegelstraße, wie bereits vor Klein Behnitz, auch auf ihrem Anfangsabschnitt mit schnödem Teerbelag überziehen.
Quelle: u.a. Untere Denkmalbehörde des Landkreises Havelland
Übrigens gibt es im Land Brandenburg eine Deutsche Tonstrasse, leider gehört die Gegend um Ketzin, Tremmen, Päwesin (noch) nicht dazu.
Hier haben wir weitere Tipps für einen Besuch im Havelland
Kenne die Strasse und die Gegend auch sehr gut. Ein sehr gut recherchierten Beitrag. Hab ich auch noch was gelernt.
VG
Sandra