Wo das Klappern zum Handwerk gehört …
Der 26. bundesweite Mühlentag steht vor der Tür. Pfingstmontag, am 10.6.2019, ist es wieder so weit. Über 150 Mühlen werden in Berlin-Brandenburg ihre Tore öffnen. Da muss schon vorher „geklappert“ werden, um am Müller-Handwerk interessierte Gäste in die Mühlen zu locken. Die mitglieder der Mühlenverereinigung Berlin-Brandenburg sind darauf jedenfalls gut vorbereitet.
Mit den heutigen medialen Netzwerken ist es einfacher geworden. „Klappern im Netz“ – etwa über Instargram oder über eine einladende Homepage sind für einen modernen Müller heute fast ein „Muss“. Wir sind so im Internet auf die Obermühle in Gottsdorf (Nuthe-Urstromtal) gestoßen. Eine ansprechende Homepage lädt zum Mühlentag in die Obermühle ein. Über Instargram haben wir dann Kontakt zum Müller Markus Röthel aufgenommen. Und ruck-zuck waren wir einen Tag später schon in Gottsdorf. Von Potsdam in den schönen Naturpark Nuthe – Nieplitz sind es etwa eine Stunde Fahrzeit mit dem Auto.
Mühlen-Handwerk in der Obermühle Gottsdorf
Die Obermühle liegt idyllisch am Pfefferfließ. Alles ist naturbelassen, am Mühlenteich fühlen sich nicht nur Weißbuchen (früher stellte der Müller daraus die Radkämme her) wohl, sondern auch der Biber treibt hier sein Unwesen.
Aber der 47-jährige Müller nimmt es gelassen, vertreiben kann man den Biber wohl nicht, so muss eben das Wehr öfter sauber gehalten werden. Der Müller in vierter Generation ist tierlieb. Als Haustier würde ich ja eine Katze vermuten, die die Mäuse vom Getreide und Mehl fern hält.
Aber origineller Weise gibt es auf dem Hof der Obermühle eine Gans als Haustier. Vor einem Jahr entschied Gans Piep, bei der Müllerfamilie „Quartier zu nehmen“, nachdem sie ihre Gänsefamilie verloren hatte. Sie muss gefühlt haben, dass es ihr auf dem Mühlenhof gut gehen wird. Die elf- und siebenjährigen Töchter kümmern sich seitdem rührend um das originelle Haustier. Tapfer verteidigt sie ihr Revier, als wir die Mühle besuchten.
Zweites Standbein für den Mühlenbetrieb
Weitere Tiere fühlen sich auf dem Mühlenhof wohl. Im Naturpark Nuthe-Nieplitz am idyllischen Pfefferfließ lebt seit einigen Jahren robustes Schwarzvieh – Welsh Black. Wie in ihrer englischen Heimat lassen es sich die Tiere sommers wie winters auf den satten Weiden des Naturparks gut gehen. Sie begrüßen ihren „Hüter“ mit lautem Brüllen, sein Auto kündet schließlich Futter an. Wie mit Piep steht Markus Röthel auch mit dem Schwarzvieh „auf Du und Du“. Er kennt sie alle, mit liebevollen Streicheleinheiten und guten Worten verwöhnt er sie. Natürlich auch mit gutem Futter und Trinkwasser. Man spürt es, die Tiere fühlen sich wohl. – Und Müller Röthel hat sich mit der Herde ein Nebenerwerb als Ergänzung zum traditionsreichen Mühlenhandwerk aufgebaut.
Das zeichnet einen heutigen modernen Müller eben auch aus. Auf zwei Beinen steht man besser. Und man muss rechtzeitig an den Nachwuchs denken – und so steht die fünfte Generation schon in den Startlöchern. Die 11-jährige Tochter Melina zeigt schon jetzt Interesse für das Müllerhandwerk, während sich die jüngere Tochter Miriam mehr für die Tiere interessiert.
Der Müller als Allrounder
Der Müller an sich ist sowieso ein Allrounder, der über handwerkliche Kenntnisse und Fähigkeiten auf vielen Gebieten verfügen muss, um seine Mühle „am Mahlen“ zu halten. Arbeitende Mühlen sind mittlerweile selten in Brandenburg. Uns als Mühlenenthusiasten fasziniert immer wieder dieses Gewirr von Walzenstühlen, Plansichter und unablässig surrende Transmissionen. Und wir sind jedesmal erstaunt, wie die Müller in ihrem Reich den Überblick behalten.
Für ihre Region und das Bäckerhandwerk sind diese gewerblichen kleinen Mühlenbetriebe wichtig. Umso mehr freuen wir uns, als wir hören, dass die Bäckerei Fahland das Bio-Mehl aus der Obermühle Gottsdorf verarbeitet.
Gelbweizenmehl, Roggen- und Dinkelmehl aus der Obermühle können die Gäste am bevorstehenden Mühlentag auch im Hofladen erwerben. Wer sich auf der Homepage informiert beziehungsweise sich für den Mühlennewsletter anmeldet, der kann zu bestimmten Zeiten auch Fleisch- und Wurstwaren kaufen – natürlich aus dem Schwarzvieh von des Obermüllers Weide hergestellt. Mehr Regionalität geht nicht.
Von der Pike auf erlernt hat Markus Röthel das Müller-Handwerk. Er wurde in der Obermühle gebraucht. Sein Großvater und sein Vater, Martin Röthel, der demnächst sein 60-jähriges Meisterjubiläum feiert, hatten die Obermühle durch schwierige Zeiten gebracht. Aufgegeben haben die Röthels sie nie. Eine solide Ausbildung und das Besuchen in anderen Mühlen führten Markus Röthel immer wieder zurück in das Familienunternehmen. Es ist ein produzierendes technisches Denkmal.
Wasserkraft und Solarenergie
Seit dem 12. Jahrhundert lässt sich die Obermühle am Pfefferfließ nachweisen. 1879 wurde das Mühlengebäude, so wird es jetzt steht, erbaut. Angetrieben werden die Rüttelkästen, Quetschen und Mühlensteine zu 60 Prozent durch das große Wasserrad (ein rückschlächtiges) unterhalb der Mühle. Das in den 90erer Jahren des letzten Jahrhunderts erneuerte Mühlrad ist eine Rarität.
Ergänzt wird mit elektrischem Strom – auch hier hat der moderne Müller vorgesorgt. Eine Solaranlage bedeckt das Mühlendach.
Erlebnisreicher Mühlentag in der Obermühle
Am Mühlentag zu Pfingstmontag kann man bei laufendem Betrieb in einer etwa halbstündigen Führung gegen einen kleinen Obolus miterleben, wie die Mühlensteine langsam und bedächtig und schonend alle Inhaltsstoffe jedes einzelnen Kornes ausmahlen. „Vom Speicher bis in den Mehlsack“ heißt es dann …
Vor oder nach der Besichtigung können die Besucher anschließend am idyllischen Mühlenteich eine Pause einlegen. 70 bis 80 Kuchen, Gulasch und andere Hausmannskost stehen dann zum Verzehr bereit. Die ganze Familie ist in den Vorbereitungen mit eingespannt. Alle Kuchen sind mit dem köstlichen Mehl aus der Mühle selbst gebacken. Und auch das Imbissangebot, u.a. hausgemachte Grillwürste, kommt aus der eigenen Aufzucht. Beim Bogenschießen und Reiten oder einfach beim geselligen Zusammensitzen am Pfefferfließ gibt es Entspannung pur. Familie Röthel freut sich zum Mühlentag auf recht viele Gäste. Wir sind sicher, in der Gottsdorfer Obermühle wird der Mühlentag für alle ein wunderbares Erlebnis. Also „klappern“ wir weiter … Markus Röthel wird unruhig, wenn es mal nicht klappert, rüttelt oder rattert … – Stillstand darf es in der Mühle nicht geben.
Fontane hätte seine Freude…
Und während ich den Tag noch einmal Revue passieren lasse, kommt mir ein Lieblingszitat aus dem Alterswerk Fontanes „Der Stechlin“ in den Sinn: „Alles Alte, soweit es Anspruch darauf hat, sollen wir lieben, aber für das Neue sollen wir recht eigentlich leben.“ Ich bin mir sicher, in der Obermühle hätte sich Fontane wohl gefühlt. Altes mit Neuem verbinden, gutes, bodenständiges Essen, gute Gespräche mit freundlichen Menschen, die ihr Handwerk und ihre Umwelt lieben …
Am Mühlentag, Pfingstmontag, den 10. Juni 2019, werden Mühlenführungen ab 10 Uhr angeboten.
Obermühle Gottsdorf
An der Obermühle 12, 14947 Nuthe-Urstromtal OT Gottsdorf
Hier gehjt es zur Homepage der www.obermuehle-gottsdorf.de
E-Mail: info@obermuehle-gottsdorf.de
Tel. 033732 40314
Anreise
mit dem Auto über die A9 bis Abfahrt Beelitz, weiter Richtung Luckenwalde. Gottsdorf liegt rund 8 Kilometer nordwestlich von Luckenwalde. Nachbarorte von Gottsdorf sind Frankenförde, Dobbrikow, und Hennickendorf.
Hier geht es zur Mühlenvereinigung Berlin – Brandenburg. Auf der Homepage sind alle am Mühlentag teilnehmenden Mühlen verzeichnet.
Hier die Seite des Tourismusverband Fläming, bislang leider ohne Mühlen im Fläming.
einfachraus.eu hat bereits mehrmals über Mühlen berichtet, hier drei Beispiele:
+ Beelitz
+ Niemegk
Übrigens ist Handwerksmüllerei mittlerweile immaterielles Kulturerbe.
Im Heft 7/2019 der Zeitschrift „Molina“ (terra press Verlag Berlin) gibt es dazu viele Informationen.
Hinterlasse einen Kommentar