Reisen in Corona-Zeiten ist schwierig, aber nicht aussichtslos. Wir vermeiden Großstädte, ziehen uns zurück in die Natur, suchen Stille und genießen, beobachten, hören zu. Und sind neugierig auf neue Bücher, Museen, Ausstellungen und Gegenden, die wir noch nicht kennen. Gern sind wir am Wasser, zu allen Jahreszeiten fühlen wir uns in wasserreichen Gegenden sehr wohl. Die Hotspots Ostsee und Nordsee waren in diesem Sommer dicht. Also warum nicht mal in die Niederlande ausweichen, in die Provinz Flevoland. Ijsselmeer, Zuidersee, Markenmeer … Wasser, Wasser. Auch im Spätsommer eine Reise wert. Bei unserer letzten Reise in die Niederlande wurden wir auf ein Prospekt aufmerksam, das wir nicht achtlos zur Seite legten.
Auf Urk oder in Urk?
Was soll das? Unser Interesse war geweckt. Eine kleine pittoreske Stadt mit vielen Annehmlichkeiten lud dazu ein, sich davon zu überzeugen, dass man sowohl auf als auch in Urk gut Urlaub machen könne, sowohl auf dem Wasser, in der kleinen Stadt oder der topfglatten Umgebung, die zum Fahrradfahren einlädt. Zwei UNESCO-Weltkulturerbe in der Nähe, vier heute noch in einem weltweit einzigartigen riesigen Wasserschöpfwerk in Lemmer in Betrieb befindliche denkmalgeschützte Dampfmaschinen, die die Polder vor Hochwasser schützen; dazu ein weiteres UNESCO Naturdenkmal in Schokland und eine Spezialgärtnerei in Rutten, die Iris und Taglilien anbietet. Diese jetzt nicht mehr, sind aber ein schönes Mitbringsel für zu Hause. Und wenn sie dann in unserem Garten im nächsten Sommer blühen, laden sie uns zum „eben mal Wegträumen“ ein, wie Familie Joosten für ihre Blumen im Noordoostpolder wirbt. Es gibt also viel zu entdecken, und so machten wir uns dann bei herrlichem Sonnenschein Mitte September auf den Weg.
Urk war einmal eine Insel
Unser Quartier suchten wir uns auf Urk, ja die Urker sagen auf Urk, denn vor vielen hundert Jahren war Urk eine Insel. Mit Blick auf den Hafen …, abends mit einem Glas Wein auf die Boote im Wasser schauen, Sonnenuntergänge beobachen, die Seele baumeln lassen …Wir fanden ein modernes Appartement, der Blick auf den Hafen durch die Fensterlamellen etwas eingeschränkt, aber wir wollten ja eh nicht im Appartement sitzen. Ein Hafen mit noch drei arbeitenden Werften, das stand nicht im Prospekt, Zu- und Abfahrten eingeschlossen. Das brachte auch viel Bewegung mit sich, aber alles kann man nicht haben. Ein Kompromiss ist jedoch immer möglich, wir wollten den Hafen in Sichtweite und nahmen das lautere Treiben in Kauf. Dafür hatten wir kurze Wege in die Touristeninformation, in das kleine mittelalterliche Stadtzentrum mit seinen engen verwinkelten Gassen, den auffallend vielen Kirchen, den kleinen bunten Häusern, in den viele kleine Geschäfte, Restaurants, Bäckereien zum Verweilen einluden. Und wir erfreuten uns über die vielen Fahrräder, meist mit zwei Kindersitzen. Die Frauen mit ihren schicken Kleidern und Röcken radelten selbstbewusst durch die Gassen, da mussten schon mal die Autos ausweichen. Laut Wikipedia ist Urk die niederländische Stadt mit der höchsten Geburtenrate. Was mag es dafür einen Grund geben ?
Wir wunderten uns eh, dass es Autofahrer tatsächlich wagten, ihre Kutschen durch die engen Gassen zu bewegen. Mit einer Eiswaffel in der Hand schauten wir dem bunten Treiben zu. Uns hatte die kleine Stadt in ihren Bann gezogen.
Am Leuchtturm trocknete die Wäsche auf der Leine im Wind mit Blick auf das Wasser, fast so, als wolle sie ihre Träger an Land winken. Ganz in der Nähe des Leuchtturms erinnert das Denkmal einer liebenden Fischersfrau daran, dass viele der Angehörigen nur noch tot geborgen werden konnten. Die auf den Tafeln rund um das Denkmal eingelassenen Namen geben die Namen der Toten, das Jahr und das Schiff (UK – für Urk – dazu die Nummer) an. Jährlich werden die Einträge bis heute vorgenommen. Die Fischersfrau mit ihrem Korb scheint sich der Wasserseite abzuwenden. Nicht immer kann man den Blick auf das weite Meer ertragen, wenn man auf den Liebsten wartet …
Quirliges Treiben im Hafen
Und so gehen wir nachdenklich zurück zum Hafen, vorbei an den großen Yachten, auf einigen sitzen Urlauber und genießen die abendliche Sonne. Ein paar Schritte gegenüber laden Restaurants wie auf einer Perlenkette zum Verweilen ein. Natürlich mit Abstand – in Corona-Zeiten ein Muss, doch Masken weder in den Gaststätten noch „Winkeln“ – wie die Einkaufsstätten hier genannt werden – nicht. Ein lockeres Miteinander, sehr freundlich, unaufgeregt, erholsam.
Am nächsten Tag haben wir großes Glück, in der Touristeninformation gibt man uns den Tipp, dass es mittags mit dem Ausflugsschiff De Zuidersee eine eineinhalbstündige Fahrt mit einer kleinen Überraschung geben wird (www.de-zuidersee.nl). Die Saison ist Ende August vorbei, um so mehr freuen wir uns über diesen Tipp und eilen zum Schiff. Noch rechtzeitig genug, um unsere Haut mit Sonnenschutzmittel einzureiben und dem Treiben im Hafen vor der Ausfahrt noch ein wenig zuschauen zu können. Und dann geht es los.
Windräder in Reih und Glied
Vorbei am Leuchtturm, der vom Wasser aus von Windrädern umgeben ist, fast sieht es so aus, als wenn Windräder ihn einzäunen. Sehr gut ist auch die Landgewinnung neben dem alten Urk vom Wasser aus zu erkennen. Das neue Urk ist gebaut auf den grünen Polderflächen, die dem Meer abgerungen wurden. Kleine typische Windmühlen wie in anderen niederländischen Provinzen sind nicht zu sehen, dafür beherrschen Parks aus Windrädern im Wasser das Bild. In Reih und Glied aufgebaut, stehen sie im Wasser, bilden ein kleines Kunstwerk, eine zusätzliche technische als auch künstlerische Attraktion. Zwischen den Reihen einzelne Segelboote, die wie kleine Spielzeugboote aus der Entfernung wirken.
Und dann kommt die angekündigte Überraschung auf dem Schiff. Wir lernen drei Urker Einwohner kennen, die stolz ihre Volkstracht vorstellen. In einem kleinen Programm bieten sie einer Reisegruppe von Menschen mit Handicap einige Einblicke in die Lebensweise auf Urk. In Gedichten, Liedern und kleinen Geschichten erfahren wir Wissenswertes über das beschwerliche Leben auf Urk in Vergangenheit und Gegenwart. Wir erfahren, dass es eine Arbeits- und Festtagstracht gibt. Vieles wird selbst genäht und gestrickt. Selbst die Holzklumpen an den Füßen haben Muster, man sieht ihnen an, dass sie schon längere Zeit getragen wurden. Beeindruckend, wie leicht man in den harten Holzklumpen laufen kann.
Janni zeigt uns seinen Pullover. Das Vorderteil ziert ein Rombenmuster. Er erklärt uns, dass jeder Pullover, den die Fischer trugen und tragen ein eigenes Muster hat. Wie Hausmarken auf Hiddensee, sind die Muster auf den Pullovern ein Familienkennzeichen. So konnte man bei Unglücken oder Hochwassern die toten Menschen identifizieren. Begegnet man heute den Urker Einwohnern in ihren Trachten, dann bilden sie schöne Bildmotive in der kleinen bunten Stadt. Der abgegriffene Silberknopf am Hosenbund oder die Goldknöpfe am Halskragen sind zusätzliche reizvolle Details einer Volkstracht, die über Generationen hinweg bis heute vererbt werden. Wir sind begeistert über die Freundlichkeit, mit der uns Yanni, Jan und Gerard begegnen und uns ihre schöne Stadt näher bringen. Auf Urk wird der älteste Dialekt der Provinz gesprochen: das Urkers. Urkers ist eine Übergangsmundart zwischen dem Niedersächsischen und dem Niederfränkischen.
Weitere Informationen über Urk unter www.urk.nl
Weitere Sehenswürdigkeiten um Urk herum gibt es auf einfachraus hier lesen:
- UNESCO Weltkulturerbe Schokland
- UNESCO Weltkulturerbe Wouda-Pumpwerk in Lemmer
- Spezialgärtnerei Joosten in Rutten
Hinterlasse einen Kommentar