Krakau/Krakow feiert Stanislaw Lem, Berlin und Potsdam veranstalten Ausstellungen. Seine Bücher erleben eine Renaissance. Stanislaw Lem gilt nach wie vor als der erfolgreichste polnische Schriftsteller der Gegenwart sowie auch der weltweit meistgelesene Science-Fiction-Autor. Was können wir von Stanislaw Lem in unsere Zeit mitnehmen ? Ich meine: eine Menge.  Er gilt als Science-Fiction-Autor, weil seine Erzählungen über den Fortschritt von Technik und Wissenschaft in kein anderes Genre gepasst hätten: Stanislaw Lems Bücher faszinieren nach wie vor Millionen von Lesern und wurden vielfach verfilmt.

Leben und Werk eines Visionärs

Prof. Alfred Gall brachte nun die Biografie „Stanislaw Lem. Leben in der Zukunft“ (WBG) heraus.

Hier Auszüge aus dem Buch:

Seite 59:
Schreiben im polnischen Stalinismus

In Krakau hat sich Lem rasch gut eingelebt. Im Unterschied zur Einsamkeit, die ihn im innig geliebten Lemberg heimsuchte, sah er sich in der alten Königs- und Universitätsstadt Krakau bald in die literarischen und intellektuellen Kreise integriert. Neben der Allgemeinen Wochenzeitung, den Freundschaften mit Wisława Symborska oder Jan Józef Szczełański ist auch das  künstlerische Milieu anzusprechen, So war Lem gut bekannt mit den beiden Bildhauern Roman Husarski und Helena Burtan. Für die beiden und deren Freunde verfasste er ein erstes Theaterstück mit dem Titel Korzenie. Drrama wieloaktowe. Der Titel ist zweideutig und kann zum einen als (übertriebene) Verehrung übersetzt werden, bezieht sich aber auch auf wertvolle exotische Gewürze und Kräuter. Eine Übersetzungsvariante, die vielleicht beides einfängt, ist Verbotene Früchte. Ein mehraktiges Drrama. Das Stück ist eine Groteske, die sich über die stalinistischen Verhältnisse lustig macht und erinnert sich über die stalinistischen Verhältnisse lustig macht und erinnert an pfiffige Carbaret-Nummern. Verspottet werden das sozialistische Gesellschaftsmodell sowie die krude Lehre des Lysenkoismus, der als stalinistischer Gegenentwurf die Genetik widerlegen sollte.

Seite 61:
In der Tat eröffnet die Anbindung an die Science-Fiction Lem einen Weg, literarisch den verschlungenen Wechselwirkungen von Wissenschaft und Technik, Geschichte und Gesellschaft, Politik und Individuum in globalen Maßstäben nachzugehen. Noch in Lemberg hatte er „Der Mensch vom Mars“ verfasst.

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Wandmalerei in Krakau erinnert an Stanislaw Lem, © Foto: Weirauch

Seite 222 f.:
Schon während seiner Zeit in in Westberlin oder später auch in Wien übten die wirtschaftliche Leistungskraft und das hohen Wohlstandsniveau der Deutschen und Österreicher eine bestürzende Wirkung auf ihn aus. Lem kannte das entbehrungsreiche Leben in Polen und während seiner Besuche in der UdSSR konnte er die sowjetischen Verhältnisse wenigstens oberflächlich in Augenschein nehmen. Ihm schien es eine historische Ungerechtigkeit zu sein, dass ausgerechnet die BRD und Österreich nach dem von den Nationalsozialisten initiierten Angriffskrieg und der systematisch betriebenen Vernichtungspolitik ein solches Wohlergehen genossen. Polen und die Sowjetunion, die beide im Krieg gewaltige Opfer zu beklagen hatten, konnten von solchem Wohlstand nur träumen, und dies obschon sie eigentlich im Lager der Sieger standen. Es sind bei aller Skurrilität doch auch beklemmende Begebenheiten überliefert, die Lems innere Anspannung aus der Zeit offenbaren.

Wandbild (Mural) für Lem an der Galeria Krakowska

Wandbild (Mural) für Lem an der Galeria Krakowska, © Foto Weirauch

Seite 272:
Galls Fazit:

Neben Lem hat sich kaum ein zweiter Autor aus dem weiten Feld der Science-Fiction mit größerer Beharrlichkeit dieser bedrückenden Verklammerung von Gesellschaft und Technologie gewidmet. In der Tat, Lem sieht sich nirgendwo restlos aufgehoben und verweist stets auf ein vom Bestehenden abweichendes Anderes. In seinen eigenen Worten klingt dieses Fazit an: „Ich gehöre nirgendwo hin, denn ich bin anderswoher“.

Das Hotel fotum in Krakau

In dem Hotel, heute Einkaufszentrum, las Stanislaw Lem in kommunistischen Zeiten Westzeitungen

Futuristische Szenarien

Doch woher kam sein Interesse für Astronauten und Raumfahrt, für Nanotechnologie und künstliche Intelligenz? Alfred Gall stellt den Philosophen, Essayisten und Autor erstmals ausführlich in einer deutschsprachigen Biografie vor und zeigt, wo die Vorliebe für futuristische Szenarien ihren Ursprung hat.

Hier die wichtigsten Kapitelüberschriften aus dem Buch:

  • Stanislaw Lem: Gefeierter polnischer Autor und vehementer Kritiker der Informationsgesellschaft
  • Von Solaris zum Futurologischen Kongress: Hintergrundwissen zu allen Werken und Figuren
  • Wissenschaft oder Literatur? Sein Durchbruch als Autor im polnischen Stalinismus
  • Zwischen Opposition und Emigration: sein Leben in Krakau, einem Epizentrum der Science-Fiction
  • Das Leben des polnischen Autors: Die erste Lem-Biografie in deutscher Sprache!
  • Sterntagebücher, Pilot Pirx und Robotermärchen: Bücher, die lange nachwirken
Letztes Wohnhaus der Familie Lem

Letztes Wohnhaus der Familie Lem in Ulica Narvik 66

Lem erträumte fantastische zukünftige Welten und Technologien, deren tatsächliche Umsetzung er zum Teil miterlebte – und durchaus kritisch betrachtete. In seinen Romanen und theoretischen Abhandlungen hatte er stets eine aufklärerische Wirkung im Blick. Er sah sich in seiner Autorentätigkeit untrennbar mit Wissenschaft und Technik verbunden und stellte dabei die Widersprüche und Verwerfungen der technologischen Zivilisation in den Vordergrund.

Stanislaw Lem: ruht auf demSalwator-Friedhof im Plot W. Foto: Weirauch

Stanislaw Lem: ruht auf demSalwator-Friedhof im Plot W., Foto: Weirauch

Prof. Alfred Gall macht mit seinem Buch den Zusammenhang von Werk und politischen wie historischen Hintergründen sichtbar – eine umfassende Darstellung von Lems Leben und Wirken!

Der Autor Alfred Gall

Alfred Gall ist Professor für westslawische Literatur und Kulturwissenschaft sowie wissenschaftlicher Leiter des Polonicums an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Zu seinen Forschungsinteressen zählen die polnische Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts, insbesondere deren Verhältnis zur Philosophie, Postkolonialismus, Literatursoziologie und Literaturgeschichte.

Alfred Gall, Stanislaw Lem. Leben in der Zukunft. Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Darmstadt 2021, 25 Euro

Verlag im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de

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