Auch mit dieser Publikation bietet der Essener Klartext-Verlag eine spannende Lektüre im Vorfeld unseres für den Herbst geplanten Urlaubs im Harz. Bekanntlich ist der Harz zu jeder Jahreszeit erlebenswert. Und nun ist er dank der vorliegenden Reiseliteratur auch erlesenswert. Thomas Müller geht populären Irrtürmern und anderen Wahrheiten auf den Grund, es macht Spaß, ihm bei der Wahrheitsfindung zu folgen. Und dabei bekommt man durchaus viele Tipps, um sich im Harz „umzusehen“, auch wenn man meint, das nördlichste Mittelgebirge Deutschlands schon gut erwandert zu haben. 

Als Kinder brachten wir uns die Brockenhexe als Souvenir aus dem Harz mit. Eine Wanderung zum Hexentanzplatz bei Thale war damals ein Muss. Und im Kinderferienlager gab es auf dem Abschlussfest den Hexentanz auf dem Besen. Natürlich musste man sich als Hexe verkleiden. Und den Besen haben wir vorab meist selbst gebastelt. Das sind Erlebnisse, die man nicht vergisst.  Um so überraschter war ich, als ich bei Thomas Müller las, dass als „Brockenhexe“ auch  ein Traktor bezeichnet wurde. Hergestellt im thüringischen Nordhausen. Da, wo auch der Nordhäuser Korn herkommt.

Hexe Harz

Thomas Müller, Der Harz. Hexen, Sandmänner & schnaufende Dampfloks. Populäre Irrtümer und Wahrheiten. Klartext Verlag, Essen 2021. ISBN 978-3-8375-2400-0.

Aber wer oder was ist ein Harzer mit 40 PS? 

Traktoren haben oft seltsame Namen: „Pionier“ zum Beispiel oder „Brockenhexe“. Beide sind legendär und keineswegs mit Hexenbesen zu verwechseln. Den RS01/40, besser bekannt als der „Pionier“ taufte man 1957 um in den Traktor „Harz“. Er lief im Schlepperwerk Nordhausen vom Band, den späteren IFA-Motorenwerken.

Zwei Jahre lang bauten die Südharzer den „Harz“. Insgesamt entstanden 2175 Exemplare. Weshalb der „Harz“ heute zu den gesuchtesten Sammelobjekten unter Oldtimer-Freunden zählt. Wer ihn im Original sehen möchte, kann dies im Nordhäuser IFA-Museum tun. – Wieder ein Tipp für einen erlebnisreichen Urlaubstag im Harz. 

Der Trecker war eine Weiterentwicklung des Pioniers. Er basierte zwar im Wesentlichen auf dem Vorgänger, doch kamen ein überarbeiteter Viertakt-Dieselmotor mit Wirbelkammeinspritzung und andere Finessen zum Einsatz. 40 Pferdestärken sollten auf dem Feld schon wesentlich mehr bringen als zwei Pferde. Weshalb das Gefährt gerade für kleine Höfe perfekt war. Die Brockenhexe hatte übrigens nur 22 Pferdestärken. Anders als beim Pionier entfiel beim Typ „Harz“ die Kurbel für den Start. Die Konstrukteure versahen den Neuling mit einem Anlasser. 17 Kilometer pro Stunde brachte der Trecker auf’s Feld. Wer kein Technik-Fan ist, aber gern etwas über germanische Kulte im Harz wissen möchte, erfährt auch Interessantes:

Germanische Kulte

Über dem winzigen Ort Questenberg im Ostharz thront nicht nur eine Burg auf der einen Seite des Tals, sondern auch ein sehr merkwürdiger großer Kranz auf einem Baumstamm auf der anderen Seite. Was hat es damit auf sich ? Thomas Müller gibt eine beredte Antwort.

hoch über Questenberg thront die Queste Foto: Weirauch

hoch über Questenberg thront die Queste Foto: Weirauch

„Das Dorf Questenberg liegt idyllisch in einem schmalen Tal. Immer im Frühjahr machen sich die Bewohner vor Sonnenaufgang auf, um ihr Heiligtum zu erneuern. Es ist der sogenannte Questenkranz. Der thront 85 Meter über dem Ort und hängt selbst noch einmal an einem zehn Meter hohen Eichenstamm. … Bis heute streiten sich Historiker um die Bedeutung der Queste und des dazugehörigen Festes. Stammt es von einem heidnischen Frühlingsfest? Dafür spricht vieles.“

Blick von der Queste auf Questenberg Foto: Weirauch

Blick von der Queste auf Questenberg Foto: Weirauch

Drei Meter im Durchmesser misst der geschmiedete Eisenreif, der auf dem Eichenstamm angebracht ist – mithilfe eines weiteren fünf Meter langen Querbalkens. Um ihn winden Dorfbewohner zu Pfingsten, nachdem das Grüne des Vorjahres verbrannt ist, grüne Birken- und Buchenzweige. Außerhalb des Kranzes hängen zwei Büschel nach unten, ebenso ein Büschel auf der Spitze. Das sind die sogenannten Quasten, die man zum Beispiel von Uniformen kennt. Im Germanischen steht das Wort „kwasta“ für einen Laubbüschel. Das Sonnenrad und der Lebensbaum waren Symbole für die Erneuerung, wie sie im Frühjahr ansteht. Und an der Spitze des Konstrukts bleiben bis heute drei Astgabeln stehen. Auch das spricht für die Deutung als Baum des Lebens.  Nachgewiesen ist die Queste, die offenbar dem Ort ihren Namen gab, seit mindestens 500 Jahren. Schon immer begleitete das Prozedere ein großes Stelldichein. 

Gosen-Pioniere in Goslar

Rammelsberg GoslarUnd was darf in einem Harz-Urlaub nicht fehlen? Eine Gose. – Die Leipziger lieben ihre Gose, ein sehr schmackhaftes obergäriges Bier. Doch auch wenn sie dessen Konsum kultiviert haben, erfunden haben sie es nicht. – Wie Thomas Müller neben vielen anderen populären Irrtümern launisch niederschreibt. 

 

Wer hat die Gose dann erfunden? Natürlich die Harzer. In Goslar nämlich mündet der Fluss Gose. Dieser gab nicht nur der Stadt ihren Namen. Ach das Getränk nahm ihn an. Der Legende nach soll das Bier schon den mittelalterlichen Königen gereicht worden sein. Urkundlich erstmals erwähnt es 1332 in einer Urkunde des Klosters Ilsenburg. Die Goslarer machten einen Fehler: Sie vergaben die Erlaubnis, Gose zu brauen, großzügig an andere. Viele tranken die Gose gern. So sah der Magistrat in der Vergabe der Braugerechtigkeit ein lukratives Geschäft.

Durch eine verwinkelte Straße geht der Blick zur Marktkirche St. Cosmas und Damian mit beiden unterschiedlichen Türmen.

Durch eine verwinkelte Straße geht der Blick zur Marktkirche St. Cosmas und Damian mit beiden unterschiedlichen Türmen.

Goslar Bier Harz BrauereiWährend die Gose ausgerechnet in Goslar aus der Mode kam, erlebte sie in Leipzig einen Aufschwung. Spätestens 1824 war sie hier zu finden. Fürst Leopold von Anhalt-Dessau, auch der Alte Dessauer genannt, soll sie hier eingeführt haben. Wofür die Leipziger ihm heute noch dankbar sind. Noch immer gibt es das Bier hier in vielen Gastwirtschaften.

Doch ist es überhaupt ein Bier? Streng genommen, nein. Denn es entspricht nicht dem deutschen Reinheitsgebot. Gose wird nicht allein aus Hopfen, Malz, Hefe und Wasser gebraut. Sie ist sogar leicht gesalzen. Und die Brauer ergänzen sie um Gewürze wie Koriander. Mancher versetzt sein Glas mit einem Kümmellikör, ein anderer mit Sirup. Es ist also ein etwas merkwürdiges, aber auch extrem süffiges Getränk.

Wie ein Bumerang kehrte die Gose später an den Ort ihrer Erfindung zurück. Im Brauhaus Goslar wird sie heute wieder ausgeschenkt.

Europas größte Gipshöhle

„Mit den Superlativen ist es so eine Sache. Ist die Heimkehle wirklich Europas größte Gipshöhle? Beeindruckend ist sie allemal.

Harz, Sachsen-Anhalt Höhle Sachsen Anhalt22 Meter in die Höhe streckt sich der Große Dom unter dem Gipskarstgebirge bei Stolberg. Über Jahrtausende haben die Flüsse Thyra, Krebsbach und Krummschlacht diesen Hohlraum unter Tage geschaffen. Haben den Gipskarst ausgespült und ein einmaliges Naturschauspiel kreiert.

Der Dom ist Teil der Heimkehle, wie sich diese Schauhöhle nennt. Ihr Name soll von der Bezeichnung „geheimer Keller“ stammen. Seit 1920 können Touristen sie erkunden. Sie reden dann gern von Europas größter Gipshöhle. Doch wie berechnet man überhaupt die Größte eines solches Konstruktes? Richtet man sich nämlich nach der Grundfläche, ist die Heimkehle mit ihren 14.400 Quadratmetern keinesfalls die größte Gipshöhle. Nicht einmal im Harz. Davor rangieren beispielsweise die Numburghöhle und die Wimmelburger Schlotten.

Anders sieht es schon aus, wenn man die Gesamtlänge der Gänge betrachtet. Hier schneidet die Heimkehle mit 1780 Metern besser ab. Zum Vergleich: Die Barbarossahöhle im Kyffhäuser- Gebirge weist eine Gesamtganglänge von 670 Metern auf. Bleibt noch die Frage: Welche dieser Attraktionen können überhaupt angeschaut werden? Es ist die Entscheidende. Hier nämlich geht die Heimkehle als Sieger hervor.

Wer die Unterwelt erkunden möchte, sollte sich entsprechend kleiden. Sommers wie winters herrschen hier acht Grad Celsius. Der 600 Meter lange Besichtigungsweg führt vom Kleinen Dom über den Riegelgang zum Großen Dom – vorbei an glasklaren Seen, die einem tiefe Tiefen vorgaukeln. Von dort geht’s durch den Riesentunnel in die Thyrahalle mit dem Thyrasee und wieder zurück.“

Harz.Höhle.Heimkehle.Sachsen.anhalt Harz, Sachsen-Anhalt

Besuchergruppe in der Heimkehle bei Uftrungen im Harz Foto: Weirauch

Unter der Höhle verläuft übrigens die Landesgrenze von Sachsen-Anhalt und Thüringen. Seit 2019 ist die Heimkehle nationales Geotop. Acht Fledermausarten sollen hier ihren Winter verbringen.Harz.Höhle.Heimkehle.Sachsen.anhalt Harz, Sachsen-Anhalt

Wer sich für UNESCO-Welterbestätten im Harz interessiert, der sollte Thomas Müllers AHA!-Erlebnissen folgen. S. 76-78)

Der Harz ist reich an UNESCO-Welterbestätten. Der Namburger Dom ist eines der bedeutendsten Kulturdenkmäler des Hochmittelalters. , Seine zwölf Stifterfiguren, dem Naumburger Meister zugeschrieben, gelten als Spitzenleistung.

Das Zusammenspiel von Architektur, Skulptur und Glasmalerei ist ein Meisterwerk der menschlichen Schöpferkraft. Die hier dargestellte Markgräfin Uta gilt als schönste Frau des Mittelalters. Auch die zwei Lettner, die den Chor vom Kirchenschiff trennen, führten dazu, das der Naumburger Dom 2018 zum UNESCO-Welterbe ernannt wurde.

 

 

Ein Bergwerk als UNESCO-Welterbe? Das mit über 1000 Jahren älteste Bergwerk Rammelsberg und das hiesige Wasserwirtschaftssystem, das sogenannte Oberharzer Wasserregal, beide sind als UNESCO-Welterbe anerkannt. Die Mönche des Klosters Walkenried – auch dieses unter UNESCO-Schutz – schufen für den Bergbau famose Einrichtungen, ein ganzes Wasserleitsystem zum Betreiben der Gruben. Es besteht aus 107 historischen Teichen, Gräben mit einer Gesamtlänge von 310 Kilometern und Wasserläufen über 31 Kilometer. In Walkenried erklärt ein UNESCO-Welterbe-Infozentrum das System. Zusammen mit der ebenfalls unter Schutz gestellten Goslarer Altstadt erstreckt sich die Oberharzer Wasserwirtschaft auf einer Fläche von über 200 Quadratkilometern mit zahlreichen Einrichtungen.

Blick auf die in den 1930er Jahren errichtete Hangaufbereitung, im Hintergrund die Kraftzentrale

Blick auf die in den 1930er Jahren errichtete Hangaufbereitung, im Hintergrund die Kraftzentrale. Foto: Weirauch

Und auch ein Besuch der Altstadt von Quedlinburg lohnt. Viele nennen sie die schönste Stadt Deutschlands. 1300 Fachwerkhäuser bilden das Zentrum. In dessen Zentrum thront die berühmte romanische Stiftskriche St. Servatii. Der Sage nach wurde hier auch dem ersten König des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, Heinrich dem I., die Königswürde angetragen.

Das Rathaus von Quedlinburg, Foto: Weirauch

Das Rathaus von Quedlinburg, Foto: Weirauch

Harz UNESCO Welterbe Quedlinburg Sachsen - Anhalt

Pittoresk präsentiert sich die Gegend um das Klopstockhaus

Und wer sich auf UNESCO-Städtespuren im Harz begibt, der kommt an Eisleben nicht vorbei. Hier kam Luther zur Welt. Hier steht auch sein Sterbehaus. Die Luthergedenkstätten gehören seit 1996 zum UNESCO-Welterbe. Ein Tipp von der Redaktion von einfachraus.de: Das Rügegericht von Volkmannrode in der Nähe von Stangerode, nicht weit davon kann man auf dem selketalstieh zur Burg Falkenstein wandern. Der Harz bietet viele Überraschungen….

 

Thomas Müller, 1977 in Nordhausen am Südrand des Harzes geboren, studierte Journalistik und Geschichte in Leipzig. Nach 20 Jahren als Journalist übernahm er die Leitung der Echter Nordhäuser Traditionsbrennerei. Sein Lieblingsort im Harz ist die Plattform der Eisenbahnwaggons des Quirls – der Harzer Schmalspurbahn.

 

 

Thomas Müller, Der Harz. Hexen, Sandmänner & schnaufende Dampfloks. Populäre Irrtümer und Wahrheiten. Klartext Verlag, Essen 2021. ISBN 978-3-8375-2400-0. Preis: 16,95 Euro, www.klartext-verlag.de