Während nach 30 Jahren des Falls der deutsch-deutschen Grenze die Kluft zwischen Ost und West noch nicht ganz überwunden scheint, gibt es im kulturellen Bereich immer mehr Brücken. Ein Beispiel sind die „Wege zu Cranach“. In einer wohl einmaligen bundesländerübergreifenden Initiative schlossen sich dreizehn Städte aus Bayern, Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt zusammen, um den großen Renaissancemaler Lucas Cranach wieder erlebbar zu machen.
Die Initiative „Wege zu Cranach“ hebt einen kulturellen Schatz,
der über Generationen getrennt war, und fügt ihn wieder zu einem Ganzen zusammen. Ein Modellprojekt.
Lucas Cranach d.Ä. (1472 – 1553), der neben Dürer wohl berühmteste deutsche Maler der Renaissance und Vordenker der modernen Unternehmensführung, hätte sicher seine Freude gehabt: Da schließen sich dreizehn Städte aus Ost und West zusammen und bilden ein Netzwerk – mehr noch ein „Cranach Cluster“. Sie beweisen damit erstens: Cranachs Gedankenwelt ist moderner denn je; und zweitens: Kultur ist ein wesentlicher „Klebstoff“ der Gesellschaft. Auch, wenn sonst die politische und gesellschaftliche Kluft zwischen dem deutschen Osten und Westen längst nicht überwunden ist – im Bereich von Kunst und Kultur scheint es gut zu laufen. „Die ‚Wege zu Cranach’ sind hier beispielgebend. Sie bilden einen Brückenschlag zwischen den Kulturregionen“, unterstreicht Dr. Kerstin Löw, Leiterin der Geschäftsstelle der „Wege zu Cranach“ mit Sitz im oberfränkischen Kronach, der Geburtsstadt Cranachs.
Dreizehn Städte aus vier Bundesländern
Im Zentrum der Initiative stehen Coburg, Nürnberg, Lutherstadt Wittenberg, Dessau-Roßlau, Meißen, Neustadt an der Orla, Gotha, Erfurt, Schneeberg, Eisenach, Weimar, Torgau sowie Kronach. „Die ‚Wege zu Cranach‘ bieten eine ideale Plattform für Forschung, Zusammenarbeit, Austausch und Wissenstransfer – aber auch dafür, Cranach an seinen originalen Wirkungsstätten als unglaublich vielseitigen und erfolgreichen Künstler einer breiten Öffentlichkeit vorzustellen. „Gerade die Authentizität der Orte, an denen er vor 500 Jahren gelebt und gearbeitet hat, fasziniert die Menschen heute“, so Dr. Kerstin Löw.
In der Kronacher „Fränkischen Galerie“, einem Zweigmuseum des Bayerischen Nationalmuseums, hütet die Stadt eine der bedeutendsten Sammlungen der Spätgotik Frankens, darunter zahlreiche Werke von Lucas Cranach d.Ä., seinen Schülern und der Werkstatt. Hier ein Bericht über unseren letzten Besuch in der Fränkischen Galerie. Die Initiative basiert auf der fachübergreifenden Zusammenarbeit von Kunstexperten, Touristikern und Vertretern der Kommunen. Beraten wird das Gremium federführend von der Kunsthistorikerin Dr. Elke Anna Werner und dem Cranach-Forscher Professor Dr. Gunnar Heydenreich. Neben Forschung und kultureller Arbeit sind – ganz im Sinne Cranachs – crossmediale PR-Aktivitäten entstanden: unter anderem ein gemeinsamer Internetauftritt www.wege-zu-cranach.de mit einem informativen Online-Cranach-Magazin und einem digitalen Veranstaltungskalender sowie einem Kultur-Reiseführer.
Kunstgeschichte hautnah
„Die ‚Wege zu Cranach’ sind vor allem neue Wege“, so Dr. Elke Anna Werner, Kunsthistorikerin der Freien Universität Berlin. Werner gilt als eine der profundesten Kennerinnen und Forscherinnen rund um den Renaissancemaler Lucas Cranach d.Ä.. Sie ist außerdem Vorsitzende des wissenschaftlichen Beirates der „Wege zu Cranach“. „Uns geht es nicht um die Organisation großer ‚Blockbuster‘-Ausstellungen wie wir sie in den vergangenen Jahren etwa in Rom, Brüssel, Paris und sogar Tokio erlebt haben. Wir wollen Cranach dort zeigen, wo man ihn heute kaum noch kennt oder vermutet. Zum Beispiel in Neustadt/Orla, wo es einen monumentalen vorreformatorischen Altar Cranachs gibt.
Der Neustädter Cranach Altar stammt aus dem Jahr 1512 und war der erste prominente Altarauftrag, den der Hofmaler Cranach von der Bürgerschaft einer Stadt erhielt. Noch heute steht er da, wo ihn einst die Werkstatt-Gehilfen Cranachs eigenhändig aufgestellt haben. Da kann man die Faszination von Kunstgeschichte hautnah erleben.“
Ein Vordenker der modernen Industriegesellschaft
Cranach, die Renaissancekunst – was sich für den ein oder anderen vielleicht etwas trocken und staubig anhört, überrascht mit erstaunlicher Aktualität. Cranach gilt als ein visionärer Vordenker. „Wer heute etwas über die Macht der Bilder, über virales Marketing, Social Networking, Diversifikation in Unternehmen und die Psychologie der Schönheit erfahren will, der kann bei dem ‚Malerunternehmer’ Cranach viel lernen. Sehen Sie sich zum Beispiel Cranachs Frauenbilder an, die spannungsvoll in der Schwebe zwischen Porträt und Idealisierung bleiben – und vergleichen Sie das mit den heutigen Popikonen. So anders ist das gar nicht“, so Dr. Elke Werner. Die Kunsthistorikerin unterstreicht: „In den Cranach-Städten kann man heute noch dem Leben, dem Arbeiten und dem Tod des Künstlers nachspüren. Dabei ergänzen sich die Erfahrungshorizonte und die kunsthistorischen Bestände der ‚kleineren‘ Cranach-Städte wie Neustadt an der Orla, Torgau oder Meißen und der ‚größerer‘ Sammlungen wie der Klassikstiftung in Weimar, dem Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg oder Schloss Friedenstein in Gotha. Es ist ein Austausch auf Augenhöhe.“
Dr. Elke Anna Werner weiter: „Wir gehen damit gemeinsam einen neuen, zeitgemäßen Weg in der Cranach-Forschung: Die Cranach-Städte forschen und arbeiten jeweils an den eigenen Beständen. Insbesondere das Wissen in Bezug auf die Maltechnik, aber auch neue Quellenfunde in den Archiven bringen immer wieder neue Erkenntnisse. Da ist längst noch nicht alles geleistet. Dabei stehen die Cranach-Städte im engen Austausch; Forschungsergebnisse werden wie einzelne Puzzlesteine zusammengeführt und vernetzt einem breiteren Publikum präsentiert. Eine effiziente und nachhaltige Vorgehensweise – sicherlich ganz im Sinne Cranachs.“ Dr. Kerstin Löw aus Kronach ergänzt: „Die ‚Wege zu Cranach‘ sind in mehrfacher Sicht eine außergewöhnliche Kooperation. Da ist zum einen der länderübergreifende Aspekt. Aber besonders innovativ ist die Verbindung von Stadtmarketing und Wissenschaft. Neben der Forschung rund um das Oeuvre geht es uns auch um die Förderung des Tourismus und um gemeinsame Synergieeffekte.“
Beispielhaftes Networking.
Bereits 2010 wurde der Grundstein für die „Wege zu Cranach“ von den Städten Kronach und Lutherstadt Wittenberg im Rahmen eines Kooperationsvertrages gelegt. Einen wirklichen Schub hat die Initiative durch zahlreiche Ausstellungen und Aktionen während des „Cranach-Jahres 2015“ der Lutherdekade erhalten. Bis heute ist das Netzwerk um elf weitere Cranach-Städte gewachsen.
500. Jahrestag der Bibelübersetzung durch Martin Luther
In den Jahren 2021/2022 wird in den Cranach-Städten der 500. Jahrestag der Bibelübersetzung durch Martin Luther gefeiert. In diesem Zusammenhang planen die Cranach-Forscher interdisziplinäre Tagungen, in denen der aktuelle Stand der Wissenschaft präsentiert werden soll. Abgerundet wird das Programm durch Ausstellungen in den Cranach-Städten.
Mehr Infos:
Hier geht es in die Lutherstadt Wittenberg
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