Noch ist der Sommer nicht vorbei, wenn auch das Wetter momentan mehr an Herbst erinnert. Beim Bummel durch die Stadt werden wir im Schaufenster eines Buchladens auf eine Publikation des Klartext-Verlages aus Essen aufmerksam, die uns neugierig macht. Erfurt – könnte das nächste Wochenendiel für uns werden. Selbst bei Regenwetter würde uns die thüringische Landeshauptstadt Sonne in unsere Herzen befördern. In der von Mirko Krüger 2018 in’s Leben gerufenen Reihe „Populäre Irrtümer und andere W ahrheiten “ werden Städte so tiefgründig, kurzweilig und unterhaltsam vorgestellt, wie es bislang nach unserer Einschätzung keinem Reiseführer gelingt. Dazu verführt sein handliches Format, es als „Taschenbuch“ auf jeder Städteerkundung dabei zu haben. Mit ihm zusammen werden unsere Städtereisen bunter, unterhaltsamer und – ja durchaus – intensiver.
Schon die Titelgestaltung wirft Fragen auf. Im Erfurt-Band sind es ein von zwei Drachen gekrönter Männerkopf, dessen aufgerissener Mund etwas verkünden will, oder als Abschluss einer Dachrinne als Wasserspeier dient? Daneben ein etwas grimmig wirkender, bewaffneter Mann – etwa ein Roland? Wir kommen in’s Grübeln – obwohl wir schon oft in Erfurt waren, an einen Roland können wir uns nicht erinnern. Unten im Bild erkennen wir den Erfurter Dom. Alle drei Motive sind durch den Buchtitel „Erfurt- Populäre Irrtümer und andere Wahrheiten“ verbunden. Direkt darunter: „Das fetzt!“ Hm – was fetzt? Erfurt, populäre Irrtümer und andere Wahrheiten, die drei abgebildeten Motive? Unsere Neugier ist geweckt. Schnell ist das Buch erworben und wir bereiten unseren nächsten Städtetrip „literarisch“ vor, indem wir uns „einlesen“. Aus dem Geleitwort zum 119-seitigen Buch erfahren wir vom Autor, dass wir es mit einer neuen Auflage zu tun haben, die zur Erstausgabe (2018) erheblich erweitert und aktualisiert wurde. Geblieben ist die Herangehensweise. Irrtümer und andere Wahrheiten. Mirko Krüger wirft Fragen auf, deren Antworten wir bereits zu kennen glauben. Er sieht aber genauer hin und findet Antworten, die uns neu sind. Ihn bei diesem Erkundungsweg zu begleiten macht uns Spaß. Das luftige Layout mit sehenswerten Abbildungen macht diesen Band wieder zu einer lesenswerten Lektüre.
Wußtet ihr das ? Erfurt ist Thüringens größte Stadt. – Doch wer dies im engeren Sinne auslegt, erliegt einem Klischee. Städtisch wirkt Erfurt vor allem in der sogenannten Kernstadt. Jenseits von Anger und Dom, von Altbauvierteln und Neubaugebieten wird das Antlitz Erfurts von Dörfern geprägt. Erfurt gliedert sich in 53 Stadtteile. Dazu gehören 37 dörflich geprägte Ortschaften. 215.520 Einwohner mit Hauptwohnsitz hatte Erfurt Anfang 2023. Je Quadratkilometer hat Erfurt 798 Einwohner. Im Vergleich: der Thüringer Durchschnitt liegt bei 131.
Big Five – Und Erfurt?
Der Spitzname für Erfurter ist Puffbohne. Die Hülsenfrucht ist unter vielen Namen bekannt: Ackerbohne oder Faberbohnen. In dem Thriller „Das Schweigen der Lämmer“ sind die Puffbohnen Teil des Geständnisses der Hauptfigur Hannibal Lecter (gespielt von Anthony Hopkins). In seinem schockierenden Geständnis erzählt er von seinem Opfer: „Ich genoss seine Leber mit ein paar Favabohnen, dazu einen ausgezeichneten Chianti.“ Die nährstoffreichen Puffbohnen waren einst ein Hauptnahrungsmittel. Sie gediehen auf den Feldern rund um Erfurt gut. Das führte zum Spitznamen für die Erfurter Einwohner. Noch heute gilt: Wer in Erfurt geboren wurde oder wird, darf sich Puffbohne nennen (lassen). „Das Schweigen der Lämmer“ triumphierte bei der Oscar-Verleihung 1992 in den fünf wichtigsten Kategorien: Bester Film, Beste Regie, Bestes Drehbuch sowie Bester Hauptdarsteller und Beste Hauptdarstellerin. Seitdem hat kein Film mehr die Big Five erhalten. Mirko Krüger meint, es könnte am wahren Erfolgsrezept liegen, „an einem für Puffbohnen“.
„Dass fetzt!“
Erfurt ist großartig, atemberaubend, fantastisch oder super. Sicher kann man noch mehr Synonyme finden. Auf Erfurtsch sagt man: Das fetzt! Erfurtsch ist keine Dialekt, sondern eine Mundart. Viele Dialekte und Mundarten sind vom Aussterben bedroht – so auch Erfurtsch, obwohl doch Teil der Identität der Erfurter. Krüger tröstet alle Erfurtsch-Fans. Die Lautsprache verändert sich kaum. Noch immer kann man heraushören, ob jemand eine Erfurter Puffbohne ist oder aber aus München, Hamburg oder Berlin stammt. Er bringt einen schönen Vergleich: „Letztlich ist es ums Erfurtsch bestellt, wie um Freundschaften. Nicht alle halten für immer und ewig, obschon wir rief in unserem Inneren ein tiefes Sehnen danach verspüren. Das fetzt allemal.“
Die größte Story der Geschichte
Das fetzt auch: Eine der größten Storys der Geschichte ist mit Erfurt verknüpft. Die Biografie Martin Luthers zu Beginn des 16. Jahrhunderts ist intensiv mit Erfurt verknüpft. Von 1501 bis 1511 war Erfurt sein Lebensmittelpunkt. Im Augustinerkloster leistete Luther eins sein Gelübde als Mönch – mit ausgebreiteten Armen über eine Grabplatte liegend – und nicht wie im Kinofilm „Luther“, wo der englische Regisseur Eric Till die werdenden Mönche während ihres Schwurs knieen ließ. 2003 kam der Film in die Kinos und fortan ist das Augustinerkloster eine wichtige Sehenswürdigkeit für Besucher aus aller Welt. Das fetzt!
Ein anderer Ort, der mit Luther eng verbunden ist, liegt zwischen Schwerborn und Stotterheim. Mirko Krüger schreibt: „Luther war im Mai 1505 zu Besuch bei seinen Eltern in Mansfeld. Er ist auf dem Rückweg – zu Fuß. Heute würde man das Auto für die 90 Kilometer nutzen. Damals ging es über Stock und Stein, bei Sonne und Regen. Luther gerät in ein Unwetter. Als in seiner Nähe ein Blitz einschlägt, wirft er sich zu Boden. Instinktiv handelt er richtig. Wer sich auf freiem Feld vor Blitzen schützen möchte, darf nicht selbst der höchste Punkt sein.
Erfurt in Zitaten
Eventuell hat ihn aber auch eine Druckwelle zu Boden geschleudert. In Todesangst bittet Luther um himmlischen Beistand. „Hilf Du, Sankt Anna, ich will ein Mönch werden!“ Anna ist die Großmutter Jesu Christi sowie die Patronin der Bergleute. Damit ist sie auch für das Heil der Lutherschen Familie zuständig. Martins Vater besitzt Erzhütten. Zwei Wochen nach dem Blitzschlag tritt Martin Luther gegen den Wunsch seines Vaters am 17. Juli 1505 in das Augustinerkloster ein. Ein Jahr später legt er sein Ordensgelübde ab, nun ist er Mönch. Warum wählt Luther gerade das Augustinerkloster? Krüger vermutet: „Es gilt als äußerst streng. Das wiederum passt zum Ideal des jungen Luther. Auf der Suche nach Gottes Gnade möchte er sich selbst eine größtmögliche Enthaltsamkeit auferlegen.“ Bis 1511 bleibt er im Augustinerkloster, dann zieht es ihn weiter nach Wittenberg.“
Hier weitere Zitate zu Erfurt:
Recht deftig, der Spruch von Martin Luther (1532) über Erfurt:
„Erfurt ist nichts Besseres gewesen, denn ein Hurhaus und ein Bierhaus. Die zwei Lektiones haben die Studenten am fleißigsten allda gehöret.“
Für Papst Benedikt XVI. ist Erfurt 2011 ein besonderer Ort: „Für mich als Bischof von Rom ist es ein tief bewegender Augenblick, hier im alten Augustinerkloster zu Erfurt mit Ihnenusammenzutreffen. Hier hat Luther Theologie studiert. Hier hat er seine erste heilige Messe gefeiert.“
1808 lädt Napoleon zum Fürstentreffen nach Erfurt. Der Zar, vier Könige, eine Königin, 28 Fürsten, elf Prinzen und eine Prinzessin nehmen teil. Auch Geistesfürsten und Geheimpolizisten geben sich die Ehre, Schauspieler und Taschendiebe. Für drei Wochen wird die Stadt zum Zentrum des gesellschaftlichen Lebens in Europa. Napoleon und der Zar führen Geheimverhandlungen zur Neuordnung des Kontinents. „Parkett von Königen.“ – so Napoleon 1808 über die Gäste des Fürstenkongresses.
Und wer aufmerksam gelesen hat und bei einem Erfurt-Besuch offenen Auges durch die Stadt ging und den Erfurtern auf’s „Maul“ schaute, dem empfehlen wir nach einem Besuch, sozusagen als Reminiszens an eine „fetzige“ Stadt, das 30 Fragen umfassende Quiz für echte Erfurt-Experten. Sollten Fragen nicht beantwortet werden können, empfiehlt sich ein erneuter Besuch … Viel Spaß.
Mirko Krüger, Erfurt. Populäre Irrtümer und andere Wahrheiten. Klartext-Verlag, Essen 2023. ISBN 978-3-8375-2574-8. www.klartext-verlag.de
Wußtet ihr schon, dass in Erfurt Brunnenkresse kultiviert wird, hier lest ihr mehr über den „Brunnenkressepapst von Erfurt“ Ralf Fischer.
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