Eine Sammlung von Vorurteilen prägt das Bild von Kassel und seiner Umgebung in der Einschätzung Außenstehender. Doch die ehemalige hessische Residenzstadt hat nicht nur große Geschichte, sondern auch alte und neue Kunst zu bieten. Die Landschaft um Kassel mit seinen 200000 Einwohnern ist märchenhaft und spätestens dann ist man bei der Verkettung aus landschaftlicher Vielfalt, UNESCO-Naturerbe im Kellerwald und UNESCO-Dokumentenerbe mit den Märchen von Jacob und Wilhelm Grimm angelangt. Man führt durchs Märchenland und wie im Märchen trifft man freundliche und offene, wortkarge und verschlossene Menschen. Kassel, Nordhessen und seine Menschen haben einen Charme, der sich erst auf den zweiten Blick erschließt. Aber er lässt sich entdecken.

Künstliche Natur und natürliche Technik

Die Hanglage macht´s. Der Herkules schließt den Park auf der Bergseite ab, zur Stadt hin ist es Schloss Wilhelmshöhe. 283 Höhenmeter trennen diese Gebäude. Dazwischen erstreckt sich das, was in einer Mischung aus italienischem und französischem Barockpark begann und heute eher wie ein englischer Landschaftspark wirkt. Die wechselnden Bauherren zwischen 1696 und 1866 haben unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt.Kassel Hessen Grimmheimat

Hauptanziehungspunkt sind die Wasserspiele. Sie basieren noch immer auf der Ursprungstechnik aus dem 18. Jahrhundert und funktionieren seit Anbeginn, ohne Pumpen, nur durch natürliches Gefälle. Das benötigte Wasser wird in Speicherteichen im Habichtswald gesammelt und zwischen 1. Mai und 3. Oktober zweimal pro Woche zu festen Zeiten abgelassen. Das geschieht mittwochs sowie an Sonn- und Feiertagen jeweils um 14.30 Uhr.

Ist es im Bergpark eher idyllisch ruhig, so ändert sich das im Sommer am Sonntagnachmittag. Hunderte von Menschen warten am Fuße des Herkules, um das hervorschießende Wasser zu begleiten über viele Kaskaden, Kanäle, einen Wasserfall bis hinunter zum Schloss. Innerhalb von einer Stunde fließen etwa 1200 Kubikmeter Wasser durch den Bergpark und enden in einer Fontäne im Schlossteich. Wnn man mit dem ersten Wasserschwall oben startet, erreicht man den Teich vorm Schlosse, wenn sich die Fontäne in die Höhe schiebt. Es ist ein beeindruckendes Spektakel, das nur noch übertroffen wird, wenn die Wasserkunst ein bis zweimal pro Jahr abends mit Illumination und manchmal sogar mit musikalischer Begleitung durchgeführt wird.

Informationen
  • Adresse: Bergpark Wilhelmshöhe,
  • 34131 Kassel
  • Tel. 0501 31680751
  • www.museum-kassel.de

Die Mauer zum Freizeitparadies

Für den Bau des Mittelandkanals brauchte man Wasser, das aus den Beständen von Eder, Fulda und Weser gespeist werden sollte. Um das verlässlich zu garantieren, staute man die Eder. Die Mauer selbst wurde aus 300000 Kubikmetern Stein gebaut. Sie ist 400 Meter lang, 48 Meter hoch und an der Sohle 36 Meter dick. Als damals Ortschaften im See versanken, war vieles nicht klar, dass die Ruinen heute, bei Niedrigwasser, eine Touristenattraktion sein würden.

Nationalpark Kellerwald - Edersee

Stille Buchten, ideal für Angler und Ruhesuchende

Der Edersee dient auch heute noch der Wasserregulierung mit dem Nebeneffekt eines Wasserkraftwerks. Das Niedrigwasser im Sommer führt immer häufiger zu Anwohnerprotesten, denn mit schwindendem See schwindet auch ein Hauptargument für den Urlaub am Edersee, der insbesondere gern von holländischen Nachbarn besucht wird. Das Wassersportparadies war wegen Niedrigwasser in den letzten Jahren immer öfter in Gefahr. Die Staumauer ist begehbar und erst wenn man den Stauraum einmal überschritten hat, wird einem die technische Bauleistung wirklich bewusst sein.

Die Ferienregion Edersee hat noch mehr zu bieten: Schiffchenfahren und andere Wassersportarten oder Abenteuer an Land, sei es im Baukronenpfad, Wildtierpark oder auch nur auf dem Fahrrad. Hier ist für alle Vergnügungen Platz.

Informationen

  • Edersee-Staumauer, Zur Sperrmauer,
  • 34549 Edertal
  • www.edersee.com
  • Die Sperrmauer hat eine obere Breite von 6 Meter

    Die Sperrmauer hat eine obere Breite von 6 Meter

Kulturfeuerwehr oder die „Mutter“ von Rotkäppchen

Wer an einem Sonntagnachmittag nach Breitenbach fährt, findet die Märchenwache geöffnet. Das Dörfchen hat damit seit 1997 so etwas wie einen kulturellen Mittelpunkt. In der Märchenwache sind Werke des Gründers Schindehütte zu sehen, in der Hauptsache dient das Gebäude aber als Veranstaltungsraum für Lesungen und Konzerte. Der Förderverein will mit der Wache zweier Personen gedenken, ohne die, ähnlich wie Dorothea Viehmann, die Brüder Grimm ziemlich auf dem Trockenen gesessen hätten. Es handelt sich um Marie Hassenpflug verheiratete von Dalwigk, die mit ihrer Familie in der benachbarten Ortschaft Hoof wohnte, und den Quartiermeister Johann Friedrich Krause aus Breitenbach selber. Maries Bruder war mit Lotte Grimm, der Schwester der Märchensammler, verheiratet, und so lernte sie auch Jacob und Wilhelm kennen. Man unterhielt sich über Märchen, und Marie soll den beiden etwa 20 Märchen erzählt haben. Darunter waren Klassiker wie Dornröschen oder Rotkäppchen. Über diesen Kontakt lernten die Grimms auch Johann Friedrich Krause kennen, der ihre Sammlung um weitere Geschichten gegen das Honorar von je einer abgelegten Grimm´schen Hose pro Märchen erweiterte.Grimmwelt Kassel

Albert Schindehütte und der Märchenforscher Heinz Rölleke brachten diese Dinge zutage und waren der Anlass zur Gründung der Märchenwache. Ihre Dauerausstellung beschäftigt sich mit den beiden Erzählern. Der Museumsteil dokumentiert aber auch das Grimm´sche Schaffen.

Informationen
  • Schauenburger Märchenwache, Lange Straße 2
  • , 34270 Schauenburg-Breitenbach
  • Tel. 05601 925678
  • www.maerchenwache.de

Die Waffelkönigin

Informationen
  • Adresse: Das Waffelhaus, Bilsteinstraße 67, 34537 Wildungen
  • www.waffelhaus.de

Weltnaturerbe

Die Region Kellerwald rund um den Edersse ist im Jahr 2011 nicht umsonst von der UNESCO zum Weltnaturerbe ernannt orden. Auf einer Fläche von 17 Quadratkilometern findet man einen der größten zusammenhängenden Buchenwälder Europas. Jede dritte Buche ist dort älter als 150 Jahre. Die Gegend soll nach exzessiver Nutzung jetzt Zug um Zug an die Natur zurückgegeben werden. Ein Urwald soll wieder entstehen. Die ist ein ehrgeiziger Plan, der neben forstwirtschaftlicher Überwachung vor allem viel Zeit brauchen wird.

Im Nationalpark Kellerwald-Edersee

Im Nationalpark Kellerwald-Edersee

Informationen

  • Adresse: Nationalparkzentrum Kellerwald, Weg zur Wildnis,
  • 34516Vöhl-Herzhausen
  • Tel. 05635 992781
  • www.nationalparkzentrum-kellerwald.de

Tipp zum Buch: Rüdiger Edelmann, 66 Lieblingsplätze und 11 Märchen – Kassel und Nordhessen, Gmeiner-Verlag GmbH. Meßkirch 2012

Zeitloser Ideenreichtum  Neues versuchen die Kasseler und Nordhessen nicht erst seit Arnold Bode und der ersten »documenta« 1955. Ideen, die weit über ihre Zeit hinaus wirkten, gab es schon viel früher: Die Brüder Grimm sammelten Erzählungen, die als »Grimms Kinder- und Hausmärchen« noch Jahrhunderte später Kinder unterhalten sollten. Und bereits Anfang des 20. Jahrhunderts leitete in Kassel eine Frau eine Maschinenfabrik überaus erfolgreich. An seinen 77 persönlichen und märchenhaften Lieblingsplätzen entführt Rüdiger Edelmann den Leser in die Geschichte und Geschichten dieses spannenden Landstrichs.

Rüdiger Edelmann, Jahrgang 1954, ist in Frankfurt geboren und lebt heute in Kassel. Nachdem er als Redakteur, Moderator und stellvertretender Programmchef des Hörfunkprogramms hr4 tätig war, arbeitet er heute als freier Autor. Der erfahrene Reisejournalist wurde 2008 mit dem Columbus Radiopreis der Vereinigung Deutscher Reisejournalisten ausgezeichnet, deren Vorsitzender er seit Oktober 2014 ist.

Rüdiger Edelmann

Märchenhaftes Kassel und Nordhessen

Herkules, Dornröschen und die sieben Zwerge

ISBN 978-3-8392-1982-9