Der Oberlandkanal in Masuren sorgt für Überraschungen. Fahrten per Dampfschiff oder Kreuzfahrtschiffen kann man noch fast überall auf der Welt erleben, Fahrten auf Schienen auch. Aber Schiffe, die auf Schienen fahren? So etwas gibt es es nur in Masuren, in Polen. Ich folge einer Empfehlung von Dr. Robert Kempa, den Deutsch sprechenden Tourismusexperten am Stand des Polnischen Fremdenverkehrsamtes auf der ITB, und mache mich auf die Reise in das Land der Väter und Großeltern. Was ich dort erlebe, übersteigt meine Erwartungen.

Fünf geneigte Ebenen 4 Schleusen

Eine Attraktion sind beispielsweise die mehrstündigen Fahrten mit Ausflugsschiffen auf dem Kanał Ostródzko-Elbląski (deutsch: Oberlandkanal). Mehr als zwei Jahre lang war der Kanal wegen umfangreicher Renovierungsarbeiten geschlossen. Dabei wurden unter anderem die technischen Systeme im Bereich der fünf geneigten Ebenen sowie die vier Schleusen des Kanals erneuert. Bei Buczyniec (Buchwalde) entstand zudem ein sehenswertes Museum.

Schiff auf einem Transportwagen, Oberlaendischer Kanal , Foto: Poland tourismus

Schiff auf einem Transportwagen, Oberlaendischer Kanal , Foto: Poland tourismus

In der Frühe geht es los

Schon morgens früh um acht startet der weiße Ausflugsdampfer im Hafen der westmasurischen Kleinstadt Ostróda (Osterode). Elf Stunden dauert die Fahrt in den rund 80 Kilometer entfernten Hafen von Elbląg (Elbing) am Frischen Haff.

Oberlandkanal

Oberlandkanal Foto: Polnisches Fremdenverkehrsamt

So eine Schifffahrt ist ein Erlebnis. Mit einer Geschwindigkeit von etwa acht Kilometern pro Stunde bewegt sich das Passagierschiff  durch den schmalen, teilweise von dichtem Schilf gesäumten Kanal und über kleinere Seen. Die Passagiere auf dem Oberdeck können die Natur und die Stille genießen, die nur gelegentlich durch das Geschnatter einer Ente unterbrochen wird. Unwillkürlich muss ich an einen Kurzaufenthalt in Schweden , wo wir staunend zusahen, wie „Juno“, ein mehr als 100 Jahre altes Schiff, mehrere Schleusentreppen überwindet. Nur dass beim schwedischen Götakanal, wie auch beim Canal du midi in Frankreich, zahlreiche Schleusen zu bewältigen sind. Das ist dann immer mit längeren Wartezeiten verbunden.

Technik Trumpf aus Uropas Tagen

In Polen ist das anders, da werden die Schiffe mit ausgeklügelter Technik aus Urgroßvaters Tagen über den Berg gezogen und so der Höhenunterschied ausgeglichen. Wie das geht, das erzähle ich Euch hier.

Oberlandkanal Foto: Polnisches Fremdenverkehrsamt

Wie es funktioniert?

Dank der Erfindung eines preußischen Ingenieurs recht einfach. Gut sechs Stunden nach dem Start erwartet die Passagiere einer der Höhepunkte der Reise. Bei Buczyniec fährt das Schiff zum ersten Mal über Land. Es schiebt sich über eine unter Wasser befindliche Plattform, wird an den beiden Seitenwänden vertäut, dann setzt sich wie von unsichtbarer Hand gesteuert ein Räderwerk in Bewegung. Ein dickes Stahlseil zieht die achträdrige Plattform eine Anhöhe herauf und Stück für Stück gelangt das ganz Schiff aus dem Wasser. Ist der Gipfel erreicht, geht es Huckepack auf Schienen den steilen, mit Gras bewachsenen Abhang hinunter.

Oberlandkanal Foto: Polnisches Fremdenverkehrsamt

Oberlandkanal Foto: Polnisches Fremdenverkehrsamt

Höhenunterschied von 100 Metern

Unten angekommen gleitet das Gefährt sanft ins Wasser, bis sich das Schiff von der Plattform abhebt. Dann werden die Taue gelöst und der Dampfer setzt seine Fahrt selbstständig fort. Insgesamt fünf geneigte Ebenen gibt es. Sie gleichen auf einer Länge von zehn Kilometern einen Höhenunterschied von fast 100 Metern aus. Mehr als 30 Schleusen wären erforderlich, um den gleichen Effekt zu erzielen. Was für eine technische Meisterleistung, die hier vollbracht wurde.

Diese Schiffe sind auf dem Oberlandkanal unterwegs

Diese kleinen  Schiffe sind auf dem Oberlandkanal unterwegs Foto: Weirauch

Wasser als Antrieb

Am Ufer in Buczyniec können wir dann hautnah erleben, wie der ganze Mechanismus sich bewegt, scheinbar schwerfällig aber präzise wie ein Uhrwerk. Es wirkt kompliziert, ist es aber nicht. Und das funktioniert so: Über ein Rohr wird Wasser aus dem Kanal auf ein acht Meter großes Wasserrad geleitet, dessen breite Schaufeln je eine Tonne Wasser aufnehmen. Das Wasserrad bewegt ein Endlosseil, das die Plattformen in Fahrt bringt.

Ausgedacht hat sich dieses wohl einzigartige Wunderwerk der Technik der Königsberger Ingenieur Georg Jacob Steenke. Schon 1825 entwarf der königlich preußische Baurat Steenke einen ersten Plan für den Oberlandkanal mit den geneigten Ebenen. Ziel war es, den Westen Masurens mit der Ostsee zu verbinden. Mit den Arbeiten wurde 1848 begonnen, 1860 der Kanal offiziell eröffnet. An Steenke erinnert heute ein Gedenkstein, fein restauriert präsentiert dieser sich bei meinem Besuch im Frühjahr 2015. Das System der geneigten Ebenen funktioniert indes noch so wie vor 150 Jahren.

Schiffe auf Schinen, Oberlandkanal Foto: Polnisches Fremdenverkehrsamt

Schiffe auf Schienen, Oberlandkanal Foto: Polnisches Fremdenverkehrsamt

Gedacht war der Kanal ursprünglich, um Güter aus dem Landesinneren zur Ostsee zu transportieren. Die Schiffe luden Holz aus den masurischen Wäldern und landwirtschaftliche Erzeugnisse. Doch bereits 1912 fuhren die letzten Transportschiffe auf der Strecke. Nach dem Ersten Weltkrieg gab es die ersten Fahrten für Touristen auf dem Oberlandkanal. Und es kamen viele.

Vogelschutzreservat Drausensee und Elbing

Doch nicht nur Freunde alter Technik kommen während einer Fahrt über den Oberlandkanal ins Staunen. Wieder auf dem Niveau des Meeresspiegels angekommen, geht die Fahrt über den flachen, mit Seerosen bedeckten Jezioro Druzno (Drausensee) nach Elbląg (Elbing). Der See ist ein bekanntes Vogelschutz-Reservat. Seerosen bedecken zudem große Teile des Sees. An seinem östlichen Ufer wurden bei archäologischen Forschungsgrabungen  Reste der der  frühmittelalterlichen Handelsstadt Truso entdeckt.

Elbing selbst hat sich in den letzten Jahren herausgeputzt. Ein Stadtrundgang lohnt sich. Bis nach Danzig zurück, wo wir wohnten, sind es knapp 1,5 Stunden Autofahrt.

Oberlandkanal Foto: Polnisches Fremdenverkehrsamt

Einzigartig: Schiffe auf Schienen, Oberlandkanal Foto: Polnisches Fremdenverkehrsamt

Fünf Schiffe  täglich

Heute verkehren neben Ausflugsdampfern auch viele Hausboote auf dem Kanal. Mit rund 60.000 Passagieren rechnet die Betreiberfirma  Żegluga Ostródzko-Elbląska pro Jahr, Tendenz steigend. Fünf Ausflugsdampfer mit bis zu 55 Passagieren sollen täglich in beiden Richtungen eingesetzt werden. Die Touren dauern von 8 bis 19 Uhr und kosten umgerechnet rund 30 Euro. Voranmeldung ist unbedingt erforderlich. Eingeschlossen ist der Rücktransport per Bus. Auf Wunsch kann eine Mahlzeit an Bord bestellt werden. Auch Fahrten auf Teilstrecken des Kanals sind möglich. Etwa viereinhalb Stunden dauert die Tour von der ersten schiefen Ebene in Buczyniec bis nach Elbląg.

Ideal für Hausboote

Der Kanal ist bei Freizeitkapitänen sehr beliebt. Der Oberlandkanal ist auch wichtig, um von Deutschland aus über Mittellandkanal, Oder, Weichsel und weitere Flüsse bis zu den masurischen Seen zu kommen. Von Duisburg dauert beispielsweise eine Fahrt rund vier Wochen, erzählte mir Helmut, der Reiseleiter. Bereits seit einigen Jahren hat sich das Hausbootrevier Weichselwerder, zwischen Gdańsk (Danzig) und Elbląg gelegen, zu einem attraktiven Hausboot-Revier entwickelt. Ziel der polnischen Denkmalpfleger und Anrainergemeinden ist es, das mehr als 150 Jahre alte technische Denkmal auch auf die Liste des Weltkulturerbes der Unesco bringen. Drücken wir die Daumen, verdient hätte es das einzigartige funktionierende technische Denkmal allemal.

Infos zum Oberlandkanal

Oberlandkanal Foto: Polnisches Fremdenverkehrsamt

Ein Schiff fährt hinab, ein Untergestell kommt entgegen Foto: Polnisches Fremdenverkehrsamt

Der Finowkanal in Deutschland pflegt mittlerweile gute Beziehungen mit Bromberger (Bydgosz) und Oberlandkanal.

Hier geht es zu weiteren Sehenswürdigkeiten in Polen.