In der DDR waren einst 350 000 Sowjetsoldaten stationiert, um 1959 sogar über eine halbe Million, in insgesamt etwa 1 500 Liegenschaften an mehr als 600 Orten. Hinzu zu zählen sind die Angehörigen dieser Truppe. Anzahl unbekannt. Diese Truppe hatte sich so etabliert, als könne sie ewig bleiben – ihr plötzliches „Aus“ jedoch kam nach der Wiedervereinigung Deutschlands. Nicht gerade über Nacht, aber doch um  1993/94 waren sie, wie international vereinbart, abgezogen. Das war zweifelsohne eine gigantische logistische Meisterleistung. Sie nahmen mit, was nicht niet- und nagelfest war. Was jedoch sind heutzutage, rund 25 Jahre nach ihrem Abzug, ihre Überbleibsel?

Geisterstätten S.10f Wünsdorf (c) Jaron Verlag GmbH _ Martin Kaule

Wünsdorf (c) Jaron Verlag GmbH   Martin Kaule

Sie sind allenthalben noch zu sehen, fährt man offenen Auges durch die Randgebiete der deutschen Hauptstadt oder durch die fünf neuen Bundesländer: Heruntergekommene Kasernenbauten, öde, auf Jahre hin verseuchte Landschaften wie etwa der Ex-Flugplatz Sperenberg bei Berlin. Tiefer in diese hoch interessante Materie taucht ein Büchlein ein, das gerade unter dem Titel „Geisterstätten der Sowjets“ im Berliner Jaron Verlag erschienen ist – ein wahrhaft historisches Meisterwerk!

Geisterstätten S. 93 Altes Lager Jüterbog (c) Jaron Verlag GmbH _ Martin Kaule

Altes Lager Jüterbog (c) Jaron Verlag GmbH _ Martin Kaule

Drei Autoren haben 14 ehemalige Militärstandorte der Roten Armee geradezu durchforstet und schildern ihre Erkenntnisse in Wort und Bild – letzteres mit teilweise erschreckend-entlarvenden Fotos. Da sind zum Beispiel Aufnahmen der „Granit“ genannten Bunker zu sehen, in denen die Sowjets ihre atomaren Waffen stationiert hatten. Ein solcher Ort etwa war Großenhain, ein nördlich von Dresden gelegener Flugplatz, wo die ersten kaiserlichen Kampfpiloten für den ersten Weltkrieg ausgebildet wurden, beispielsweise der als „Roter Baron“ bekannt gewordene berühmte Jagdflieger Manfred Freiherr von Richthofen. Während der Nazizeit waren hier Geschwader stationiert, die Angriffe auf die Sowjetunion flogen. Die Sowjets hatten hier Alarmrotten des Typen Su-17 und Su-24, zuletzt auch die moderneren MIG-27 stationiert. Im Mai 1973 machte dieser Platz internationale Schlagzeilen: Einem sowjetischen Flugzeugtechniker war es gelungen, mit einer Su-7 zu starten und in den Westen zu fliehen. In der Nähe von Braunschweig ließ er die Maschine abstürzen und rettete sein Leben mittels eines Fallschirms.

Solche Details haben die Autoren des Bildbandes – 96 Seiten – en masse zusammengetragen. Was auffällt und vielleicht überrascht: Die Rote Armee bediente sich als Besatzungsmacht vorwiegend solcher Liegenschaften, die schon von den Nazis – oder noch früher – militärisch genutzt worden waren. Das trifft beispielsweise auch auf Nohra zu, am westlichen Rand von Weimar gelegen, inzwischen eingemeindet. An diesem einst kaiserlichen Flugstützpunkt bildeten die Nazis Kampfpiloten aus, stationierten später auch Jagdflieger. Die Sowjets dann bauten Nohra zu einem ihrer wichtigsten Standorte in der DDR aus. Ab 1956 war Nohra eine der größten russischen Hubschrauberbasen. „Nach dem Abzug der russischen Truppen  1992“, heißt es in in dem Buch des Berliner Jaron Verlages, „wurde die einst hermetisch abgeriegelte Liegenschaft zum Anziehungspunkt vieler geschichtsinteressierter oder schlicht neugieriger Zeitgenossen, und die Garnison wurde Schritt für Schritt zum Abenteuerspielplatz . . . Heute sind von den ursprünglich mehr als 30 Kasernenbauten nur wenige erhalten“. Eine Lenin-Skulptur döst vor sich hin. Auf dem ehemaligen Flugfeld erzeugt eine Solaranlage Strom.

Übrigens gab es rund um das nahegelegene Erfurt eine Vielzahl von geheimnisvollen Bunkern. In den 50er Jahren „für damals in höchster baulicher Qualität errichtet“, heißt es dem Band „Geisterstätten der Sowjets. Und weiter: „Der Bundesnachrichtendienst interessierte sich für den Bau … es konnten noch weitere solcher Tiefbunker identifiziert werden, bei Damgarten, Rechlin und Merseburg – alle in der Nähe von sowjetischen Militärflugplätzen. Auch deren Funktionen hatte man schnell herausgefunden. Es handelte sich um verbundene Jägerleitstellen, von ihnen aus wurden Jagdflugzeuge zu ihren Zielen geführt. . . Die Einrichtungen wurden teils so gut im Geländer versteckt, dass bis heute nicht alle entdeckt worden sein dürften“.  Übrigens beschäftigte der BND seinerzeit etwa 1 000 Personen, von denen die Sowjetstützpunkte in der DDR ständig beobachtet wurden.

Im Städtchen Königsbrück am westlichen Rand der Oberlausitz, rund 25 Kilometer nördlich von Dresden gelegen, war die 119. Raketenbrigade der Sowjets stationiert, mit Mittelstreckenraketen des Typs SS-12 ausgerüstet. In der Nähe: Ein „Sonderwaffenlager“ mit nuklearen Sprengköpfen. Das übrigens hatten amerikanische Fotosatelliten sehr schnell entdeckt und analysiert. Diese Bunker existieren noch heute, ihr Äußeres ist sichtbar, aber sie können nicht betreten werden. Auf dem westlich von Leipzig gelegenen Flugplatz Brandis hatten die Sowjets eine pulsierende Kleinstadt gebaut, für rund 5 000 Soldaten und deren Angehörige. Hier waren über 100 Flugzeuge und Hubschrauber stationiert. Bemerkenswert: Noch 1989, als sich das Ende der DDR abzeichnete, stellten die Sowjets hier das 485. Kampfhubschraubergeschwader in Dienst.

Diese gewaltige Sowjet-Armada auf deutschem Boden hatte ihr Hauptquartier in Wünsdorf, einem Ortsteil des brandenburgischen Zossen, 40 Kilometer südlich von Berlin. In wilhelminischer Zeit war hier ein kaiserlicher Truppenübungsplatz, Reichswehr und Nazis nutzten das Gelände ebenfalls.  Zuletzt hatte das Oberkommando der Wehrmacht hier seinen Sitz. 50 000 Angehörige der Roten Armee waren hier kaserniert – nur 2 500 Einwohner zählte der deutsche Ort. Vom Bahnhof Wünsdorf fuhr täglich ein Zug nach Moskau. Heute blickt ein Lenin – Denkmal von einem hohen Podest geradezu verloren ins Nichts.

Die drei Autoren des Buches „Geisterstätten der Sowjets“ sind absolut kompetent: Stefan Büttner hat zahlreiche Publikationen zur Luftfahrtgeschichte veröffentlicht, Martin Kaule dokumentiert seit 2001 „Orte der Zeitgeschichte“ und organisiert Studien- und Forschungsreisen, Arno Specht begründete mit einem Band über Berlin die „Geisterstätten“-Reihe.

Das Buch „Geisterstätten der Sowjets: Vergessene Orte im Osten“ kostet 12,95 Euro, Jaron Verlag Berlin, Autoren sind Martin Kaule Arno Specht  und Stefan Büttner 

Cover Geisterstätten der Sowjets, Foto: Jaron Verlag

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