von Kärstin Weirauch
Stettin/Szczecin – unsere Liebe auf den zweiten Blick. Unsere Liebe begann vor über Jahren. Wir näherten uns der Stadt über einen Besuch der Stettiner Philharmonie.
Stetiner Philharmonie
Das neue Gebäude faszinierte uns. Es erhielt 2015 den Mies van der Rohe Award, den Preis der Europäischen Union für zeitgenössische Architektur. Die weiße Stahl-Glas-Konstruktion wirkt wie ein verwunschenes Schloss auf uns, das aus seinem Dornröschenschlaf erwacht werden möchte. Verschiedenfarbige LED-Lichter zu allen Tages- und Jahreszeiten lassen den Bau in immer neue Variationen erscheinen.

Eindrucksvolle Skyline: Stettins preisgekrönte Philharmonie
Die vielen hochaufragenden Spitzdächer und Giebel, so die Architekten um Estudio Barozzi Veiga aus Barcelona, interpretieren die gotischen Türme und Giebel der Stadt neu. Die Philharmonie scheint zu schweben, ähnlich der Noten der Komponisten, die die Musikanten im Inneren des wundervollen Klangkörpers interpretieren. Der äußere Schwebeeffekt wird durch verstellbare vertikale Lammellen betont. Insgesamt ist das Gebäude von einer geheimnisvollen Aura umgeben, die zum näheren Betrachten, auch des Inneren, einlädt. Das lässt sich am Besten während einer öffentlichen Führung realisieren. Führungen gibt es auch in deutscher Sprache. Mehr Infos auf der Seite der Philharmonie.

Gebäude der Philharmonie Stettin Foto: Dieter Weirauch
Wie in einem Schloss führt die Paradetreppe zum Großen Konzertsaal, während eine Wendeltreppe zum Kammermusiksaal hinaufführt, wegen seiner Schlicht- und Dunkelheit auch „Mondsaal“ genannt.
Ganz andere überwältigende Eindrücke erwarten uns im Großen Konzertsaal, wegen seines goldenen Glanzes auch „Sonnensaal“ genannt.

Der Goldene Saal, Foto: Philharmonie Stettin
Der goldene Glanz wird durch die Verkleidung der Saalwände und der Decke mit unterschiedlich geneigten dreieckigen Platten aus Blattgold sowie den Einbau zweier zusätzlicher Oberlichter erzeugt. Neben diesen optischen Raffinessen verfügt der Sonnensaal auch über eine hervorragende Akustik. Wir können nicht genug davon bekommen und so ist jeder Stettin-Aufenthalt gekoppelt mit einem Besuch der Philharmonie.

Blick in den Konzertsaal
In kurzer Zeit ist das Gebäude der Philharmonie – zusammen mit dem benachbarten Dialogzentrum Przełomy – zu einem neuen architektonischen Wahrzeichen von Szczecin geworden.
Platz der Solidarität
Bei einem der nächsten Besuche erkundeten wir den naheliegenden schräg ansteigenden Solidaritätsplatz, der unterirdisch das Dialogzentrum Przełomy (Umbrüche) beherbergt. Das Zentrum entstand aus einer Initiative, die darauf abzielte, die sozialen Umwälzungen in der Nachkriegsgeschichte von Szczecin zu dokumentieren und zu würdigen. Einen besonderen Platz nehmen in diesem Zusammenhang die Ereignisse vom Dezember 1970 ein, als bei einem Straßenprotest von Arbeitern auf dem heutigen Solidarność-Platz 16 Menschen durch Polizeischüsse getötet wurden. „2009 wurde in einem Architekturwettbewerb der Entwurf für das Zentrum ausgewählt. Es war eine Arbeit, die auf einen kreativen Dialog mit dem zwei Jahre zuvor präsentierten Entwurf der Philharmonie abzielte. Den Architekten sollte sich der Neubau der expressiven Form des Philharmoniegebäudes anpassen.
Der Ausstellungsbereich liegt daher komplett unter dem Platz verborgen, im Erdgeschoss sind lediglich die Empfangsbereiche untergebracht. Eine Prämisse bestand darin, das Volumen des Quartiers der Vorkriegszeit symbolisch nachzubilden, zugleich aber die Funktion eines Stadtplatzes beizubehalten. Die Topografie des Gebäudes bestimmten städtebauliche Überlegungen. Das flacher werdende Dach verbindet zwei bedeutende öffentliche Bauten miteinander, die Philharmonie und die Kirche St. Peter und Paul und schafft einen Vordergrund für sie.

Eingang in das unterirdische Zentrum Dialog
Dank der Betonverkleidung der Außenwände und der Betonoberfläche des Platzes weist der Bau einen monolithischen Charakter auf. Ein interessanter Aspekt sind die beweglichen Fassaden; sie bestehen aus rotierenden Paneelen und verbergen die Zugänge, wenn das Dialogzentrum geschlossen ist. Dann entfaltet der skulpturale Charakter der gesamten Anlage seine volle Wirkung.“ Die Anlage wurde mit zahlreichen Preisen gewürdigt, darunter mit der Auszeichnung für den besten öffentlichen Raum im Jahr 2015 (European Prize for Urban Public Space) und dem Titel Best Building of the World 2016 beim World Architecture Festival in Berlin.

Peter und Pauls Kirche und Dach des Zeitgeschichtlichen Museums mit Denkmal für die Opfer der Dezemberereignisse 1970
– Man sieht nur, was man weiß –
Der vorliegende Architekturführer ist das erste Buch seiner Art in deutscher Sprache. Er stellt fast 300 Objekte in der Stettiner Innenstadt sowie weitere knapp 100 Projekte in den Außenbezirken ausführlich vor. In 15 Routen wird Stettin, eine der bedeutendsten Hafenstädte Polens, 60 Kilometer von der Ostsee entfernt, an der Mündung der Oder ins Stettiner Haff gelegen, vorgestellt.

Im Innenhof des Schlosses der Pommerschen Herzöge in Stettin
So u. a. die vom Bahnhof zum Schloss und zur Jakobskathedrale, entlang des Oder-Ufers zum Hafen und quer durch die Villenvorstadt Westend. Einleitende Essays zur wechselvollen Geschichte und zur Struktur der Stadt runden diesen praktischen Führer ab, der sich zum Nachschlagen wie als Reisebegleiter eignet.
Hier erfahrt ihr, was man in Stettin unbedingt besuchen sollte.
„Die historische Hauptstadt Pommerns hat eine faszinierende deutsch-polnische Geschichte, die sich in ihren Bauten und Plätzen spiegelt. Stettins Entwicklung lässt sich an der Architektur ablesen, wie man Jahresringe an Bäumen analysieren kann: von der kleinteiligen Altstadt über die hochverdichtete, an europäischen Metropolen orientierte Gründerzeitstadt und die ‚Moderne Stadt‘ der Fünfzigerjahre bis in die Gegenwart.“ So die Herausgeber.
Auch wir freuen uns, dass wir für unsere nächsten Stettin-Besuche endlich einen fundierten Architekturführer nutzen könen, und wir so unsere „Liebe auf den zweiten Blick“ immer weiter ausbauen können.
Hier Infos zu den vorgestellten Objekten
Stetiner Philharmonie Małopolska 48
Dialogzentrum Przełomy Plac Solidarnosci 1
Touristeninformation
Plan Żołnierza Polskiego 20
Infos zum Architekturführer
Justyna Borucka, Harald Gatermann, Jakub Gołębiewski, Architekturführer Stettin Szczecin. Dom publishers, Berlin 2024. ISBN 978-3-86922-665-1.
Preis: 38 Euro Hier die Seite des Verlages: www.dom-publishers.com
Informationen gibt es hier:
Regionale Tourismusorganisation Westpommern/Pomorze Zachodnie ZROT, www.zrot.pl
Centrum Informacji Turystycznej Szczecin: www.zstw.szczecin.pl/pl/turystyca ,
www.szczecin.eu oder www.visitszczecin.eu
Polnisches Fremdenverkehrsamt, www.polen.travel
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