Erstaunliche Parallelen und Unterschiede zwischen der im mittealter verbreiteten Pest und der heutigen Corona-Pandemie vermittelt die Ausstellung «Pest – eine Seuche verändert die Welt», die derzeit im Augusteum der Lutherstadt Wittenberg gezeigt wird. Leugner, Verschwörungstheoretiker und systemrelevante Berufe gab es demnach schon im Mittelalter. Zu den sogenannten systemrelevanten Berufen gehörten damals die Pastoren, heute nicht mehr. Die Parallelen reichten von Seuchenleugnern, Sündenböcken, systemrelevanten Jobs bis zu einer Reihe noch heute aktueller Hygienemaßnahmen,
Zeiten ähneln sich ?
Gerade an der Pest, so berichtete Mirko Gutjahr, Kurator der Sonderausstellung (Teile wurden vom LWL Landesmuseum in Herne -NEW- übernommen) könne man zeigen, dass viele der heutigen Maßnahmen zur Corona-Eindämmung auch schon vor Jahrhunderten ergriffen wurden. Quarantäne, Gesundheitspässe sowie Abstands- und Hygieneregeln seien bereits 1566 in der Wittenberger Pestordnung festgehalten worden. Die Pest gelte als die „Krankheit schlechthin“, sagte Gutjahr. Kaum eine Krankheit habe solche Spuren in der abendländischen Kultur hinterlassen. Noch heute genutzte Aussagen wie „die Pest an den Hals wünschen“ oder etwas „wie die Pest hassen“ demonstrierten dies.
Jahrhundertelang verbreitete die Pest Angst und Entsetzen. Bis heute hat sie Spuren in der abendländischen Kultur hinterlassen und das kulturelle Gedächtnis Europas tief geprägt. Zugleich ist die Menschheitserfahrung Pest aber auch ein Beispiel für den Sieg über die Seuchen und die Furcht vor ihnen. Die Geschichte der Pest ist daher auch eine Geschichte der Angst und ihrer Überwindung. „Pest. Eine Seuche verändert die Welt“ erzählt genau diese Geschichte, von der Steinzeit bis heute. Sie behandelt die drei großen Pestpandemien, aber vor allem die Reaktionen auf das massenhafte Sterben. Wie verhielten sich die Menschen im Angesicht dieser existenziellen Bedrohung? Wie erklärten und deuteten sie die Krankheit, die Millionen den Tod brachte? In welcher Zeit wurden welche Strategien verfolgt, um die Pest physisch und psychisch zu bewältigen? Und: Können wir aus diesen Erfahrungen auch heute Nutzen ziehen?
Hatte die Pest Einfluss auf die Reformation ?
Zum ersten Mal beschäftigt sich zudem eine Sonderausstellung mit dem Pestgeschehen in der Zeit der Reformation und der Konfessionalisierung. „Wir fragen, inwieweit die Pest ein Faktor für die Herausbildung der Reformation war, und schauen auch umgekehrt auf den Einfluss der Reformation auf die Pest“, so Mirko Gutjahr, Kurator der Ausstellung. „Mit ihrer Offenheit gegenüber der medizinischen Wissenschaft stellten die Wittenberger Reformatoren bereits entscheidende Weichen in der Bekämpfung der Pest.“ Die Wittenberger Schau zeigt, wie die Menschen der tödlichen Seuche begegnet sind, welche Mittel und Methoden sie gegen die Bedrohung entwickelt haben und auch, wie man von Seiten des Glaubens mit der Pest umging.
Corona und die Pest
„Das Thema ‚Pandemie‘ ist natürlich ein hochaktuelles“, sagt Dr. Stefan Rhein, Direktor der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt. „So lag es für uns auf der Hand, uns auch dem Vergleich von Pest und Covid19 zu stellen und sowohl die Unterschiede als auch die Ähnlichkeiten zwischen beiden Seuchen dar-zustellen.“ Gerade an der Pest lässt sich zeigen, dass viele der heutigen Maßnahmen bereits vor Jahrhunderten wirksam waren.
Wittenberger Pestordnung von 1566 und heute
Wer die Wittenberger Pestordnung von 1566 liest, fühlt sich an die Coronaschutzverordnungen 2020/21 erinnert: Quarantäne, Gesundheitspässe, Abstands- und Hygienegebote – alles keine Erfindungen der Gegenwart. Viele Methoden zur Seuchenabwehr, die zu Pestzeiten entwickelt wurden, werden noch heute wirksam eingesetzt.
Aktueller denn je – Ängste der Menschen nicht ignorieren
Der Blick zurück geschieht immer mit dem Vergleich zu Heute. So werden etwa ein Fledermauspräparat und ein Rezeptbuch für Fledermaussuppe dem Alkoholpräparat eines „Rattenkönigs“ in Beziehung gesetzt und stehen für die Gerüchte, Corona sei durch den Verzehr von Fledermaussuppe auf dem Großmarkt in Wuhan auf den Menschen übertragen worden. Die Pest wird dabei zu einem fernen Spiegel für die Gegenwart: Die Geschichte zeigt, dass viele Begleiterscheinungen wie beispielsweise Verschwörungsglauben, Überreaktionen oder die Suche nach Sündenböcken nicht erst in der Moderne entstanden sind, sondern schon vor Jahrhunderten. Und sie zeigt, dass Seuchen auch eine starke psychologische Seite haben, die sich Ventile sucht. Damals wie heute gilt, die Ängste der Bevölkerung nicht zu ignorieren und zugleich Verschwörungserzählungen zu bekämpfen.
Die Sonderausstellung präsentiert in acht Themenbereichen über 130 Exponate und sieben Video- und Audioinstallationen im sogenannten Bibliothekssaal und den angrenzenden Räumen im Erdgeschoss des Augusteums in Wittenberg. Zu den Highlight-Objekten der Schau zählen beispielsweise der „Pestschinken“ aus Friesoythe, anatomische Drucke aus dem Besitz des Reformatorensohns Paul Luther, die von Martin Luther eigenhändig kommentierte Wittenberger Beutelordnung oder Funde aus dem „Alchemistenlabor“ in Wittenberg.
Pest. Eine Seuche verändert die Welt
Sonderausstellung der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt
Laufzeit: 20. August 2021 – 20. Februar 2022
Öffnungszeiten: August bis Oktober: täglich von 9:00 – 18:00 Uhr
November bis Februar: Di – So von 10:00 – 17:00 Uhr
Eintritt: 5 Euro / Ermäßigt 2,50 Euro
Gruppenticket: 4 Euro p. P.
Kombiticket Sonderausstellung + Lutherhaus: 10 Euro
Hier ein Stadtrundgang durch Lutherstadt Wittenberg
Adresse:
- Augusteum
- Collegienstraße 54
- 06886 Lutherstadt Wittenberg
- Kontakt:service@martinluther.de
- Tel.: +49(0) 3491 420 31 71
- Im Internet: www.martinluther.de
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