Wie die Hessisch-Niedersächsische Allgemeine berichtet, wurde die Fleischerei Schott leider am 2.1.2024 geschlossen, aus Altersgründen.

Lebenslanges Lernen – für Fleischermeister keine leeren Worte. Selbstbestimmt nimmt  Rolf Schott  mit 52 Jahren eine Lehre als Metzger in Angriff. Bezeichnet sich selbst als ältesten Lehrling Hessens. Wer lernt, bleibt jung, erst recht, wenn man weiß, wofür man lernt. Rolf Schott  ist der Schwiegersohn der traditionsreichen Melsunger Fleischerei Willi Ross in der Fritzlarer Straße 15 in Melsungen. Ich lernte ihn unlängst während einer Radtour auf dem Fulda-Radweg R 1 kennen. Es war spannend, was der frühere Bankmanager über die Ahle Wurscht (auch Ahle Worscht) erzählt hat. Von ihm wird man künftig hören, wenn es um die Köstlichkeit in der Grimmheimat Nordhessen geht. Mit seinem Entschluss, den Betrieb seiner Schwiegereltern weiterzuführen, ist auch in Melsungen und Umgebung die Ahle Wurscht als über die Region weit bekanntes Markenzeichen Hessens gesichert.

Präsentieren die Ahle Wurscht: Bianca und Rolf Schott, Foto: Fleischerei Ross

Präsentieren die Ahle Wurscht: Bianca und Rolf Schott, Foto: Fleischerei Ross

Vom Banker zum Metzgermeister

Im August 2018 bestand der Seiteneinsteiger die Meisterprüfung als Lehrgangsbester. Rolf Schott sagt: „Darüber freue ich mich sehr und kann sagen, dass die Prüfung für mich den gleich hohen Stellenwert hat wie mein Diplom als Bankbetriebswirt 20 Jahre zuvor.“

Immer serviceorientiert: Team der Fleischerei Ross

Immer serviceorientiert: Team der Fleischerei Ross

Zur Geschichte der Ahlen Wurscht gibt es eine kleine Broschüre (Gerhard Schneider-Rose: Nordhessische Ahle Wurscht – Portrait einer Rohwurstspezialität (Hrsg. Förderverein Nordhessische Ahle Wurscht e.V) Großalmerode-Weißenbach 2015). Daraus will ich hier gern zitieren. Experten bescheinigen der  Ahle Worscht ebensolchen  Kultstatus wie dem berühmten Serranoschinken. Wälder, Wiesen und kleinräumige Felder prägen die nordhessische Region. In der eher dünn besiedelten Wald- und Ackerbauregion hat die Industrialisierung erst spät ihre Spuren hinterlassen. Die Selbstversorgung mit Obst, Gemüse, Fleisch und Brot hat lange den Lebensalltag der Nordhessen geprägt. Gemüsegärten, Streuobstwiesen, Backhäuser, Schweineställe und Wurschtekammern sind bis heute Zeugen dieser umfassenden Selbstversorgung der nordhessischen Haushalte von Bauern und Bürgern. Die Versorgung mit Fleisch in Nordhessen auch in den Städten im Wesentlichen bis ins 20. Jahrhundert hinein auf der Hausschlachtung. Nur zu besonderen Anlässen wie Hochzeiten und Taufen wurde frisches Fleisch gekauft. Stadtbürger erhielten meist die Schlachtschweine von Bauern aus der Verwandtschaft oder vom Landwirt des Vertrauens aus der Region.

Hier geht es zur Fleischerei in Melsungen.

Auch die Brüder Grimm versorgten sich auf diese Weise mit Wurst, Speck und Fett. Das Metzgerhandwerk war für die Versorgung mit frischen Fleisch- und Wurstwaren in den Städten zuständig, während die Dauerware zuhause produziert wurde. Die Selbstversorgung hatte neben dem negativen Aspekt des hohen Arbeitsaufwandes die positiven Seiten eines hohen Qualitätsbewusstseins, die Bewahrung von Traditionen und eines großen Wissens um die Ernährung.

Bianca Schott bei e einer Präsentation von Ahle Wurscht auf der Fulda, Foto: Weirauch

Bianca Schott bei e einer Präsentation von Ahle Wurscht auf der Fulda, Foto: Weirauch

Edelprodukt Ahle Wurscht

In der Hausschlachtung in Nordhessen wurden am Schlachttag neben den „Edelprodukten“ Ahle Wurscht und Beinschinken eine ganze Palette von Erzeugnissen hergestellt: Leber- und Blutwurst, Sülze oder Schwartenmagen, Weckewerk, Fleisch-, Wurst- und Speckfett gehörten zu den Lebensmitteln, die die Fleisch und Fettversorgung des Haushalts übers Jahr sicherstellten.

Was heißt eigentlich Ahl ?

Für eingefleischte Nordhessen hängt viel daran, die perfekte Ahle Wurscht im Haus zu haben. Touristen denken beim Wort „ahl“ an Fisch, im nordhessischen Dialekt steht es aber für „alt“ im Sinne von lange gereift und lange haltbar. Die Hausschlachtung war in Nordhessen fest in den Jahresablauf eingebunden. Für eine gute Reifung der Ahlen Wurscht ist in den ersten Wochen ein kühles und feuchtes Klima unabdingbar. Deshalb sind die kalten Herbst- und Wintermonate die traditionellen Schlachtemonate. Die unterschiedlichen dicken und dichten Wursthüllen sorgen dafür, dass das ganz Jahr über immer genussreife Ahle Würschte zur Verfügung stehen.

„Dürre Runde, Feldkieker, Schlacke“

Rolf Schott erläuterte uns die unterschiedlichen Wurtsorten. Die traditionelle Ahle Wurscht gibt es in unterschiedlichen natürlichen Wursthüllen mit verschiedenen Formen, Durchmessern (Kalibern) und Dichtigkeiten, die unterschiedlich lange Reifezeiten der Würste bedingen. Die dünnste Ahle Wurscht ist die rund zusammen gebundene „Dürre Runde“. Sie ist nach 4-6 Wochen Reifezeit die als erste genussreife Ahle Wurscht. Gerade verlaufende Wurstformen werden als „Stracke“ („gerade“) bezeichnet, sie gibt es in unterschiedlichen Längen und Kalibern bis zu einem Durchmesser von 80 Millimetern. In der Kälberblase oder in Keulenform geklebten Därmen wird die Ahle Wurscht als „Feldkieker“, „Birne“ oder „Herkuleskeule“ bezeichnet.  „Wir exportieren unsere Wurst regelmäßig sogar nach Hongkong“, sagt Rolf Schott.

Die Größe und damit die Reifezeit der Keulen ist nicht einheitlich. Bei der „Schlacke“ wird die Wurstmasse in den etwas unförmigen Enddarm des Schweines gefüllt. Durch den dickwandigen Darm mit Fetteinlagerungen bleibt die Wurst auch nach etlichen Monaten noch mürbe und gilt deshalb vielen als besondere edle Form der Wurscht. Die „Schlacke“ wurde früher am längsten aufbewahrt. Dank der modernen Kühlung und Klimaführung kann die „Ahle Wurscht“ heute ganzjährig hergestellt werden.

Für die Ahle Wurscht wird traditionell nur das Fleisch schwerer Wurstschweine verarbeitet, da nur dies die erforderliche Reife mitbringt. Die überlieferte Regel besagt, dass ein Wurstschwein die Weihnachtsglocken mindestens zweimal gehört haben soll. Bereits einen Tag vor der Schlachtung werden die Schweine vom Bauernhof aus der Region zum Schlachthaus gebracht, damit sie am nächsten Morgen ungestresst geschlachtet werden können. Der Metzger stellt nach der Schlachtung  innerhalb weniger Stunden, auch „Warmverarbeitung“ genannt, das Wurstbrät her. Diese Form der Verarbeitung ist wichtig für die mürbe Konsistenz, das Schnittbild und den fleischigen Geschmack der Ahlen Wurscht. In der heutigen Fleischindustrie wird die Warmverarbeitung kaum mehr angewandt.

Welche Gewürze kommen hinein ?

Traditionelle Gewürze sind: Salz, frisch gemahlener Pfeffer, frischer Knoblauch (oft zuvor in Korn oder Rum eingelegt), etwas Haushaltszucker und Salpeter für die Umrötung. Je nach Region und individuellem Geschmack kommen noch Piment, Muskat, Nelke, Kümmel oder Senfkörner dazu. Das grobe Wurstbrät wird nun mit der Füllmaschine fest und frei von Hohlräumen in Naturdarm gefüllt. An den Enden wird die Wurst verknotet oder mit einem Metallclip verschlossen. Der Metallclip kann das Produktionsdatum und die Chargennummer dokumentieren. Nach dem Befüllen werden die Wurschte auf langen Holzstangen aufgehängt. Sie dürfen sich untereinander nicht berühren, damit sie gleichmäßig trocknen können. Sind die Würschte außen trocken, werden sie für die Reifung der Rohwurscht in die Wurschtekammer gehängt.

Luftgetrocknete Wurscht

Ohne Räucherung gereifte Ahle Wurscht wird als „luftgetrocknet“ bezeichnet. Meist wird die Ahle Wurscht zum Schutz vor Schimmelbefall mit einer leichten Räucherung unterzogen. In der traditionellen Herstellung, in der auf Reifebeschleunigern verzichtet wird, verliert die Ahle Wurscht während der Reifung 40 Prozent ihres Gewichts. Ahle Wurscht reift in kühlen, luftigen und in den ersten Wochen sehr feuchten Räumen. Ideal dafür geeignet sind Wurschtekammern mit Lehmwänden. Luftfeuchtigkeit und Temperatur müssen so gesteuert werden, dass die ‚Wurst äußerlich nicht zu schnell trocknet und dann von innen hohl werden kann. Schimmelbefall muss abgewaschen oder abgebürstet werden. Eine lange gereifte Ahle Wurscht verliert nicht nur an Gewicht, sie macht bis zum Verkauf immer wieder Arbeit. Dies schlägt sich auch im Preis nieder.

So genießt man Ahle Wurscht am besten

Ahle Wurscht isst man am besten „aus der Faust“ mit einem kräftigen Bauernbrot. Man schneidet ein ordentliches Stück von der Wurst ab und genießt den mürben Biss und den harmonischen fleischigen Geschmack mit pfeffrigen Noten.  Der mürbe Biss ist ein typisches Merkmal der traditionellen Herstellung, die grobe Textur regt zum Kauen und damit zur vollen Geschmacksentfaltung an. Passende Getränke sind leichte herbe Biere, klare Schnäpse oder kühles Leitungswasser. Nordhessen trinken aber auch gerne Bohnenkaffee zu ihrer Ahlen Wurscht, nicht zu stark und ohne Milch und Zucker.

Touristen empfiehlt Rolf Schott nur gut ausgereifte Würste mit nach Hause zu nehmen. Sie verträgt höhere Temperaturen und kann sogar offen hängend in der Küche aufbewahrt werden. Bewährt haben sich das Einwickeln der Wurst in Papier und ihre Lagerung im Gemüsefach. Folien und Plastikverpackungen umgehend von der Ahle Wurscht entfernen, weil sie sonst schwitzt und schimmelt. Übrigens erhielt Ahle Wurscht aus der Fleischerei Ross bei den 3. Nordhessischen Ahle Wurscht Meisterschaften im März 2018 insgesamt drei Goldmedaillen.

Die Fleischerei Willi Ross befindet sich in der Innenstadt der schönen Fachwerkstadt Melsungen. Hier geht es direkt zur Fleischerei.

Buchtipp:

  • Gerhard Schneider-Rose: Nordhessische Ahle Wurscht – Portrait einer Rohwurstspezialität (Hrsg. Förderverein Nordhessische Ahle Wurscht e.V) Großalmerode-Weißenbach 2015, Bebra-Verlag
  • Heinrich Keim: Nordhessische Ahle Worscht. Ein Wurst mit Kultstatus, Gudensberg-Gleichen 2005, Wartberg Verlag.
  • Ahle Wurscht – Das europäische Schmeckerwöhlerchen der Grimm-Heimat Nordhessen, Melsungen 2011, Verlag J. Neumann-Neudamm

Wichtige Adressen rund um die Ahle Wurscht

Förderverein Nordhessische Ahle Wurscht e.V.
Weißenbachstraße 1, 37247 Großalmerode-Weißenbach
www.nordhessische-ahle-wurscht.de

Slow Food Nordhessen
https://www.slowfood.de/slow_food_vor_ort/nordhessen/

Arche des Geschmacks von Slow Food
https://www.slowfood.de/biodiversitaet/arche_des_geschmacks/

Im Januar 2024 schloss die Fleischerei Ross für immer. Hier ein Beitrag dazu aus der Hessisch-Niedersächsischen Allgemeinen.

Adresse der Fleischerei Willi Ross
Fritzlarer Straße 15
34212 Melsungen

E-Mail info@fleischerei-ross.de
Shop: fleischerei-ross.de

Das macht Einkaufen Spaß: Bianca und Rolf Schott mit der Ahlen Wurscht, Foto: Fleischerei Ross

Das macht Einkaufen Spaß: Bianca und Rolf Schott mit der Ahlen Wurscht, Foto: Fleischerei Ross

Hessens „Ahle Wurscht“ ist seit Februar 2023 eine geschützte geografische Angabe. Mit dieser Entscheidung der EU darf sich ein Wursterzeugnis nur dann Ahle Wurscht nennen, wenn sie in Nordhessen hergestellt wurde. Das heißt, die Schlachtung, Zerlegung und Verarbeitung sowie der Reifungsprozess der Wurst muss in diesem geografischen Gebiet stattfinden. Neben dem Begriff „Ahle Wurscht“ sind laut EU auch die Bezeichnungen „Feldkieker“, „Dürre Runde“, „Ahle Worscht“ oder „Stracke“ zulässig. Die geschützten geografischen Angaben gibt es seit 1992 in der EU und wurden zum Schutz und der Förderung traditioneller regionaler Lebensmittelerzeugnisse eingeführt. Hier erfahren Sie mehr zu den Geheimnissen der nordhessischen Ahlen Wurscht.

Der Bartenwetzer von Melsungen ist auch ein Experte für Köstlichkeiten aus der Grimmheimat. Foto: WeirauchHier geht es zu einem Bericht über unseren Besuch in Melsungen.

Weitere Informationen hier zur

GrimmHeimat Nordhessen: Ständeplatz 13, 34117 Kassel, Tel: 0561/97062 248, www.grimmheimat.de

Die Recherche am Diemelradweg wurde unterstützt von der Grimmheimat Nordhessen. 

Hier geht es zur Jausenstation am Hohen Meißner, ebenfalls eine sehr gute Adresse für die Ahle Wurscht in der Grimmheimat.