Für meine Familie ist Breslau (Wrocław) seit einigen Jahren ein lieb gewordenes Reiseziel. Für uns ist jeder Besuch weniger ein touristischer Tripp denn ein Ankommen in vertrautem Terrain. Obwohl wir die polnische Sprache nicht beherrschen, knüpfen wir jedes Mal neue Kontakte mit freundlichen Menschen. Soziale Medien machen es möglich, auch nach einer Reise in Kontakt zu bleiben. So bekamen wir auch einen Tipp auf einen brandaktuellen alternativen Reiseführer Wrocław (Breslau), der auf „100 außergewöhnliche Orte, die man nicht verpassen sollte“, aufmerksam macht. Bekannte – weniger bekannte, skurrile, romantische, auf jeden Fall außergewöhnliche Orte – die uns anziehen, weitere Besuche in dieser wunderschönen Stadt zu machen. Verfasser ist Mirko Seebeck, der auch die Seite  www.wroclawGuide.com betreibt. Ich habe bisher wohl noch nie so einen topaktuellen Reiseführer wie diesen gefunden. Wenn eine Lokalität so wie beschrieben nicht mehr existiert oder geschlossen ist (wie der zum Restaurant umgebaute Breslauer Wasserturm), dann bekommt man über den Newsletter von wroclawguide.com eine alternative vorgeschlagen. Hier drei Beispiele  der außergewöhnlichen Art. Danke Mirko für den Abdruck. Drei Tipps für die Zeit nach Corona, wenn wir wieder reisen können…. Auf der Seite von Mirko Seebeck gibt es u.a. auch viele Tipps zum Essen und Trinken in Breslau.

Die Markthalle von Breslau (Wrocław)

„Die Markthalle mag zunächst als herkömmliche Touristenattraktion erscheinen, hinter ihren Mauern verbergen sich aber bewegende Schicksale und Geschichten. Ursprünglich bestanden Pläne für insgesamt vier Markthallen in Breslau, doch nur zwei davon wurden schließlich realisiert. Die zweite Halle befand sich in der heutigen ul. Kolejowa und wurde im Krieg stark zerstört. Ihre Ruinen standen dort noch bis ins Jahr 1973, als man sich gegen einen Wiederaufbau entschied. Die heutige Markhalle mit dem polnischen Namen „Hala Targowa“ wurde erstmals 1908 eröffnet und hat den Krieg überlebt. Nach vorübergehender Nutzung als Pferdestall erhielt die Halle recht bald wieder ihre eigentliche Bestimmung zurück. In den Jahren 1980 – 1983 wurde sie aufwendig restauriert. 2016 wurde die Fassade einer weiteren Verjüngungskur unterzogen.Breslau Polen Markthalle Breslau

Heute warten rund 200 Stände auf zwei Ebenen auf hungrige Besucher und Touristen. Neben markttypischen Produkten wie Obst, Gemüse, Bäckerei- und Fleischwaren stößt man auch auf ein paar ungewöhnliche Angebote. So finden sich unter dem Dach der Markthalle eine Kaffeerösterei, eine kleine Druckerei, eine Kraftbier-Bar und eine Teestube mit nahezu unendlich Sortiment. Auch die Breslauer Gastronomie deckt sich hier mit frischen Waren ein. Insbesondere an Samstagen verwandelt sich die Markthalle in ein riesiges soziales Potpourri aus unterschiedlichsten Gruppen: Touristen treffen hier auf einkaufende Breslauer; ärmere Einwohner sitzen gemeinsam mit Geschäftsleuten in einer Milchbar, einem Ort für günstiges Essen, im Eingangsbereich zusammen. Das Breslauer Alltagsleben vermischt sich hier fließend mit einer Prise Urlaubsstimmung.

Breslau Polen

Blick in die Markthalle

Breslau Polen

Im hinteren Hallenbereich betreibt Flip Kucharczyk das „Targowa“ ein nur acht Quadratmeter großes Café mit wenigen Sitzplätzen. Anfangs rieten ihm viele von diesem Standort in der Markthalle ab, doch er hatte den richtigen Riecher und schuf einen der beliebtesten Anlaufpunkte für eine kurze Kaffeepause. 2016 gewann er außerdem noch den Titel des AeroPress-Weltmeisters – ohne jede Vorbereitung, wie er selbst sagt.  Doch die Zeiten waren nicht immer so harmonisch. Im Jahre 1924 wurde nicht weit von Breslau ein Herr namens Karl Denke verhaftet. Ihm wird nachgesagt, über einige Zeit hinweg als „Schweinefleisch“ gekennzeichnetes Menschenfleisch in der Breslauer Markhalle verkauft zu haben. Bei der Hausdurchsuchung nach seiner Festnahme wurden jedenfalls neben dem Fleischwolf menschliche Überreste gefunden, die ungefähr 40 unterschiedlichen Personen zugeordnet werden konnten – er hatte akribisch Buch geführt. In seiner Heimatstadt Ziebiçe gibt es ein Museum für Haushaltsgüter, das seinem unheiligen Tun eine kleine Ausstellung gewidmet hat.

Die Stadtinsel Słodowa

Wenn sich die Sonne im Frühjahr langsam durch die graue Wolkendecke kämpft und ihre ersten Strahlen auf Breslau wirft, beginnt ein Spektakel der besonderen Art. Fast zeitgleich öffnen sich die Türen der Studentenunterkünfte, und alles stürmt in Richtung der  bekannten Supermarktketten. Warum? – Natürlich, um sich mit Bier und Snacks einzudecken und anschließend den Frühling gemeinsam mit Freunden auf der Insel Słodowa einzuläuten.

Das Obige mag vielleicht etwas übertrieben klingen, doch ganz sich ist Słodowa, die zu deutschen Zeiten noch „Vorderbleiche“ hieß, die beliebteste Insel der Stadt. An sonnigen Tagen versammelt sich hier nicht nur nahezu die gesamte Jugend der Stadt, vielmehr pilgern Menschen aus sämtlichen Altersgruppen und gesellschaftlichen Schichten auf die Insel, um den Sommer miteinander zu feiern. Schließlich darf hier auch in der Öffentlichkeit Alkohol konsumiert werden, ein Akt, der normalerweise mit Geldstrafen belegt wird. Es werden Picknicks zubereitet, Brettspiele ausgepackt, ein paar Musiker klimpern auf ihren Gitarren vor sich hin, und junge, besonders gut gebaute Burschen balancieren auf der Slackline vorsichtig zwischen Bäumen entlang. Dank ihrer Lage genießt man von der Insel einen traumhaften Blick auf die Breslauer Universität, eine der längsten Barockfassaden der Welt. Auch zu später Stunde ist die Insel im Sommer immer gut besucht. Die Beleuchtung umliegender Gebäude sorgt für eine magische Atmosphäre. Abgerundet wird diese durch einige schwimmende Bars, die mit bester Biergartenstimmung aufwarten und leckere Cocktails, polnische Biere und auch einige Snacks servieren. Ganz neu ist die Bar auf der Dachterrasse des modernistisch gestalteten Concordia-Gebäudes mit der Kröten bepflanzten Wand in Polen – ein Ort, der sich schnell in der gehobenen Partyszene etabliert hat und herrliche Ausblicke auf eine tolle Umgebung bietet.

Das Denkmal der Vertriebenen

Erinnerung an Menschen, die ihre Heimat verloren haben

Die Geschichte von Breslau wurde auf besonders dramatische Weise von Entscheidungen am Ende des Zweiten Weltkrieg beeinflusst. Nicht nur der irrsinnige Beschluss der Nazis, Breslau zur Festung zu erklären, sondern auch die Vertreibung von Millionen Menschen zahlreicher Nationalitäten brachte unermessliches Leid mit sich. Als in der Potsdamer Konferenz der Beschluss zur Westverschiebung Polens gefasst wurde, hieß es zwar, dass die damit einhergehenden Umsiedlungen im Einklang mit humanitären Geboten stattfinden sollen. Dabei ging man aber nur von einem Drittel der später tatsächlich erfolgten Umsiedlungen aus, mit dramatischen Folgen. Heute steht fest, dass es sich um die größte ethnische Vertreibung in der Geschichte handelte. Mehr als zwölf Millionen Menschen wurden gezwungen, ihre Heimat zu verlassen, oft von heute auf morgen und nur mit dem notwendigsten Hab und Gut ausgestattet. In den utopischen Vorstellungen der Siegermächte schien es ein leichtes Spiel, über 2,5 Millionen Menschen innerhalb von gut zwei Monaten vollständig umzusiedeln. Die Kapazitäten der Bahn waren damit natürlich völlig überfordert. Viele Familien, darunter vor allem Deutsche, Polen sowie Ukrainer und Weißrussen, mussten schließlich endlose Fußmärsche in eine neue, unbekannte Heimat absolvieren.

Lange Zeit war dies ein heikles Thema für die neue, polnische Bevölkerung von Breslau. Ein Großteil der neuen Stadtbewohner war selbst aus dem ehemaligen Osten Polens vertrieben worden, daher bestand sogar eine gewisse Empathie für die deutschen Familien, die nun ihrerseits zur Abreise gezwungen waren. Oftmals teilten Deutsche und Polen anfangs noch Wohnraum miteinander, und man kann sich leicht vorstellen, wie skurril diese Situationen gewesen sein müssen. Um all dieser Menschen zu gedenken, wurde eine Skulptur erschaffen, die allerdings recht versteckt ist und auch nur selten erwähnt oder beachtet wird. Es handelt sich um einen übergroßen, zusammengeknüpften Sack voller Hab und Gut: eine große Last, könnte man sagen.“

Breslau

Cover: WroclawGuide.com

Mirko Seebeck, Breslau (Wrocław) – 100 außergewöhnliche Orte, die man nicht verpassen sollte. Verlag und Druckerei Poligraf 2020. ISBN 978-3-98223388-8

www.wroclawguide.com

Hier lest ihr demnächst über das neue Afrykanum im Breslauer Zoo,

die Jahrhunderthalle

und was es mit Hydropolis auf sich hat.

Natürlich widmen wir auch den Zwergen eine eigene Geschichte. 32 Zwerge haben wir von einfachraus.eu gefunden. Aber sicher gibt es noch viel mehr.

Breslau Zwerg

Na sdrowje ! Gesundheit wünscht uns der Zwerg am Rathaus